Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
sperren.
»Nein«, flüsterte sie und straffte den Rücken. Den Gedanken ertrug sie nicht. Dieses Haus war schon Gefängnis genug, aber eine Anstalt … ausgeschlossen. Nie im Leben. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und sagte sich, dass an diesem Abend einfach nur ihre Nerven überreizt waren, noch überreizter als sonst.
Noch einmal blickte Marla auf den Säugling hinunter, und eine Erinnerung blitzte auf. In Sekundenbruchteilen sah sie sich im Krankenhaus und im Kreißsaal mit dem hellen Licht, erinnerte sich an den heftigen Druck und die Schmerzen der Geburt, den Arzt mit dem Mundschutz bei der Entbindung und … und … das Baby … ihren wunderbaren Sohn … wie er auf die Welt kam. Sie hatte lange in den Wehen gelegen. Die Geburt war schwierig. Schlimmer, als sie erwartet hatte. Doch am Ende hatte sie ihren Sohn geboren. Ja! Ja! Ja! James war ihr Kind. Allein ihr Kind! Sie erinnerte sich an seinen roten Haarflaum, nass und unter weißer Schmiere an das Köpfchen geklebt, an sein verzerrtes, wütendes Gesichtchen, bevor man ihn ihr auf den Bauch legte.
Ich werde dich immer lieben, hatte sie da gedacht, und niemand wird dich mir wegnehmen. Ich schwöre es dir. Ganz gleich, was auch geschieht.
Lebhafte Bilder hatten sich in ihr Gehirn eingebrannt, und neben dem Hochgefühl der Geburt war etwas Dunkleres beteiligt, etwas hochgradig … Angstbesetztes … Eine tiefverwurzelte, lähmende Angst, dass jemand ihr das Kind fortnehmen, ihr dieses wunderbare Baby aus den Armen reißen könnte … Aber das war doch verrückt, oder?
Sie hob das kleine Bündel hoch und drückte es an ihre Schulter, als müsste sie damit rechnen, dass es ihr jemand im nächsten Moment entriss. Tränen strömten über ihr Gesicht, ihr Magen verkrampfte sich. »Ach, Liebling«, flüsterte sie, küsste seinen Haarflaum und atmete seinen süßen Babyduft ein. Er gurrte, schmatzte und seufzte mit weichem Atem an ihrer Halsbeuge. Wieder kamen ihr die Tränen, und diesmal ließ sie ihnen freien Lauf. Gott, wie sehr sie dieses winzige Kind liebte. »Alles wird gut«, sagte sie und wiegte ihn. »Alles wird wieder gut. Mama ist bei dir. Ich … ich lasse niemals zu, dass dir etwas Böses geschieht. Niemals.« Und wie gedenkst du das anzustellen?
»So gut ich kann. Ich werde tun, was immer dazu nötig ist.« Sie schniefte, entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Niemand würde ihr helfen; sie war nicht einmal sicher, wem sie vertrauen durfte. Sie musste ihre Ängste allein bekämpfen. Marla stand da im Halbdunkel und presste ihre Lippen auf den seidigen Kopf des Kindes. Draußen scharrte ein Ast übers Dach. Der Wind rauschte in den Bäumen, aber im Haus herrschte Sicherheit. James gab kleine Schmatzgeräusche von sich. Marla lächelte und legte ihn widerstrebend zurück in die Wiege.
Sie ließ die Verbindungstür zum Kinderzimmer einen Spalt offen und ging wieder zu Bett. Als sie ihren Sohn im Arm hielt, hatten sich ihre Ängste verflüchtigt, aber ihr war immer noch ein bisschen unwohl. Sie war emotional aufgewühlt, die Gedanken kreisten in ihrem Kopf, ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie überlegte, nach unten zu gehen und den verdammten Pfleger aufzusuchen, doch das erschien ihr zu zimperlich. Außerdem war es lediglich eine Nervensache, mehr nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, Eugenia oder Nick Bescheid zu sagen, dass sie geglaubt hatte, ein Fremder würde an ihrem Bett stehen und drohen, sie umzubringen, hier, in ihrem eigenen Haus.
»Reiß dich zusammen«, schimpfte sie mit sich selbst und trank das Glas Wasser auf ihrem Nachttisch aus. Morgen würde sie nicht länger in diesem Haus herumsitzen. Ausgeschlossen. Keine Minute länger. Sobald sie diese verdammten Drähte los war, würde Marla ihren Vater, ihren Bruder und ihren Tennisclub besuchen. Sie würde sich mit Cherise treffen und feststellen, ob sie sich an die Schwägerin erinnerte. Und noch weitere Pläne geisterten ihr durch den Kopf: Sie würde versuchen, jemanden von Pam Delacroix’ Familie zu erreichen, um mehr über die Frau herauszufinden, an die sie sich nicht erinnerte, und über den spontanen Ausflug, den niemand sich erklären konnte. Vielleicht konnte sie ausdrücken, wie sehr der Tod dieser Freundin ihr zu Herzen ging. Dann war da noch die Familie von Charles Biggs. Auch mit seinen Hinterbliebenen musste sie sprechen.
Eins stand jedenfalls fest: Ab morgen würde sie den Stier bei den Hörnern packen, ihr Leben wieder selbst in die
Weitere Kostenlose Bücher