Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
gestatteten ihm einen relativ leichten Wechsel zwischen den Welten, auch ohne Tor. Ich bekam das ebenfalls hin– allerdings nicht ohne Probleme. Und ich brauchte einen Anker, der mich zurückzog. Bei mir zu Hause lagen ein paar, aber Jasmine hatte nichts dergleichen. Sie konnte wahrscheinlich nicht aufs Geratewohl von der Anderswelt wegspringen. Ich wusste nicht einmal genau, ob sie das mit einem Anker konnte– und die Eisenketten erschwerten es nur noch mehr. Das Ganze konnte für uns beide übel enden.
„Können wir nicht“, sagte ich. „Wir müssen einfach untertauchen.“ Ich wandte mich an Imanuelle. „Wie geht es Euch? Könnt Ihr uns wieder alle in Bauersleute verwandeln?“
Sie nickte. „Aber dafür müssen wir außer Sicht verschwinden.“
Ihr Selbstvertrauen war wenigstens ein kleiner Segen. Imanuelle hielt jetzt vier Illusionen aufrecht; dabei hatte ich mir hinsichtlich ihrer Stärke wirklich Sorgen gemacht, und natürlich dahingehend, dass vielleicht jemand in der Lage sein würde, ihre Magie zu–
„Sie ist es! Die Dornenkönigin!“
Die kreischende Stimme, durch die sich plötzlich sämtliche Blicke auf uns richteten, kam nicht von den Soldaten. Sondern von einer alten Frau unter den zusammengedrängten Flüchtlingen. Sie erinnerte mich an Masthera. Weiße Haare, wilde Augen. Sie zeigte auf uns, und ihr Blick hatte irgendetwas an sich… etwas Durchdringendes, das mich glauben ließ, dass sie die Illusionen einfach durchschaute.
„Verdammt“, sagte Imanuelle. In ihrer Stimme schwangen Angst und verletzter Stolz zugleich mit. Obwohl die Möglichkeit einer Entdeckung immer bestand, begriff ich, dass Imanuelle zutiefst überzeugt davon gewesen war, dass ihre Kräfte für so etwas zu groß waren.Vielleicht war ihre Magie bei vier Leuten zu sehr „verdünnt“ worden.
Ganz ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass ein einziger Aufschrei ausreichen würde, um die Aufmerksamkeit auf uns zu richten, nicht in dem Chaos dort draußen. Doch die Stimme der Frau ließ die Leute um sie herum verstummen. Sie starrten uns an, und dann bemerkten andere, obwohl sie die Alte nicht gehört hatten, diese Reaktionen und hörten ebenfalls auf zu reden.
„Mund halten“, brach ein Soldat schließlich die verwirrte Stille. Er gehörte zu denen, die auf die Zivilisten aufpassten. „Wir haben keine Zeit für so was.“
Die Alte schüttelte heftig den Kopf. „Habt Ihr keine Augen im Kopf? Könnt Ihr sie denn nicht sehen? Es ist die Dornenkönigin mit ihrer Schwester! Sie sind gleich dort drüben!“
Der Soldat machte eine finstere Miene. „Ich hab dir doch gesagt, wir–“
Ihm fiel die Kinnlade herunter, weil in diesem Moment die Wachen kamen, die vorhin am Tor Dienst gehabt hatten. Sie blieben ruckartig stehen und starrten uns absolut perplex an. Wären wir nicht wegen des Alarms in Panik geraten, hätte wahrscheinlich einer von uns daran gedacht, die Illusion so zu verändern, dass wir wie die bewusstlosen Soldaten aussahen und nicht wie diejenigen, an denen wir noch mal vorbeimussten. Das war ein richtig schlimmer Patzer; da standen wir nun mit unseren Spiegelbildern.
Der Soldat, der die Alte angeherrscht hatte, wusste vielleicht nicht, was los war, aber er wusste, dass etwas los war. „Ergreift sie“, sagte er. Er sah beunruhigt zu seinen echten Kameraden und beschloss, kein Risiko einzugehen. „Und sie auch.“
Andere Soldaten bewegten sich widerspruchslos auf uns zu. Ich überschlug die Zahlenverhältnisse. Wir waren gut, aber ich bezweifelte, dass Kiyo und ich im Nahkampf so viele schafften. Jasmine kam zu demselben Schluss.
„Spreng sie auseinander“, sagte sie. „Wir können uns den Weg nach draußen frei sprengen.“
Mit „wir“ meinte sie mich, und mir war klar, dass sie nicht von Explosionen sprach, sondern von Stürmen. Auf diese Idee war ich auch schon gekommen. Ohne es überhaupt richtig zu merken, rief ich all meine Magie herbei und ließ den schönen, sonnigen Tag im Vogelbeerland rasch vergehen. Schwarze und violette Wolken wälzten sich mit unmöglicher Geschwindigkeit über den Himmel, Blitze flackerten so dicht über uns hinweg, dass die Erde bebte. Feuchtigkeit und Ozon erfüllten die Luft, Wind hob sich und fiel.
Das Wetter hatte sich binnen Sekunden gedreht, und die herannahenden Soldaten blieben stehen. Die verrückte Behauptung der Alten war im Lichte dieser Magie nicht mehr ganz so verrückt. Ganz egal, was ihre Augen ihnen sagten, sie begriffen jetzt, dass durchaus die
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