Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
fragte sich, wie lange wohl ein Fußmarsch nach Flagstaff gedauert hätte. Mehrere Stunden? Einen Tag? Die Müdigkeit ließ Sam nicht mehr klar denken.
Er stieg in eines der Taxis, ließ sich erschöpft mit einem wohligen Seufzer in die Lederpolster der Rückbank sinken und teilte dem Fahrer das Ziel mit.
»Flagstaff. Hübsches Städtchen«, meinte der freundlich. Sein rundes, teigiges Gesicht, gepaart mit seinem extremen Südstaatenakzent verriet, dass er ein waschechter Amerikaner war. Sam gähnte.
»Haben Sie Verwandte dort, Sir?«
»Nein, nicht mehr«, antwortete Sam und blickte auf die Uhr. Es war kurz nach zwölf, die Fahrt würde noch etwa eine Stunde dauern. Eine Stunde mit Quatschen zu verbringen war keine schöne Vorstellung. Bei Cornelia aus dem Flugzeug hatte sich die Sache anders verhalten. Erstens war sie ein Fan und zweitens eine attraktive Frau. Darüber hinaus hatte Sam nun einfach keine Lust, seine Lebensgeschichte ein zweites Mal zu erzählen.
»Wissen Sie, ich bin von Lexington. Na ja, ursprünglich nicht. Ich komme von Olive Branch, Mississippi. Mein alter Herr war von dort, Sir.«
Für Sam hörte sich das Geschnatter des Fahrers an wie das monotone Brummen eines Generators. Laut und dennoch einlullend.
Ab und zu ließ Sam ein gelangweiltes »Aha« vom Stapel, um dem Fahrer seiner Aufmerksamkeit zu versichern. Schnell jedoch war klar, dass dieser ohnehin ein Meister des Monologes war. Es schien ihn nicht im Geringsten zu stören, dass Sam nur zuhörte. Mehr oder weniger zumindest. Selbst wenn auf der Rückbank ein Esel gesessen wäre, hätte der Fahrer vermutlich munter weiter gequasselt. Einfach nur des Redens willen.
Sams Blick schweifte aus dem Fenster und über die Landschaft, während der Taxifahrer unentwegt weiter sprach und seine Lebensgeschichte zum Besten gab. Sam bekam nur einzelne, unzusammenhängende Wortbrocken mit; zu sehr war er damit beschäftigt, gegen die Müdigkeit anzukämpfen, während die atemberaubende Schönheit des ländlichen Nebraskas an ihm vorbeirauschte.
Er kurbelte das Fenster ein wenig hinunter, um etwas frischen Sauerstoff zu bekommen. Vielleicht vertrieb der ja die Müdigkeit. Der unverkennbare Geruch von Mais, Staub und Weizen drang augenblicklich in seine Nase und bahnte sich seinen Weg in sein Gehirn; öffnete dort Türen, die lange Zeit geschlossen waren und ließ damit weitere Erinnerungen frei. Ein längst vergessenes Aroma aus seiner Kindheit, das sich nun wieder in ihm ausbreitete, drang in jede Pore seines Körpers.
»Und Sie, Sir? Woher kommen Sie?«
Sam überlegte, was er antworten sollte.
Soll ich ihm sagen, dass ich aus Frankfurt, Deutschland komme? Aus Boston, Massachusetts? Alles wäre die richtige Antwort.
»Ich komme aus Flagstaff, Nebraska«, entgegnete Sam schließlich.
»Tatsächlich? Das ist toll. Nebraska ist ein verdammt guter Bundesstaat. Ich will hier nicht mehr weg. Könnte mir nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu leben. Nicht in einem anderen Staat, geschweige denn in einem anderen Land. Wie in Europa. Waren Sie schon einmal drüben?«
»Schon mehrmals«, sagte Sam leise. Er bemerkte schmerzhaft, wie sehr ihn die Sehnsucht an Saskia und die Kinder packte. Zum ersten Mal machte er sich Gedanken, warum er unbedingt hierher zurückkehren hatte wollen. War es wirklich nur wegen seinen Freunden, die Sam seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte? Tief in sich spürte Sam, dass der Grund tiefer verwurzelt lag, eine Sache die noch nicht beendet war.
Den Taxifahrer schien es nicht sonderlich zu stören, dass Sam nicht auf jede seiner Fragen antwortete. Munter erzählte er weiter von den verschiedenen Jobs, die er in seinem Leben schon getätigt hatte, ehe sich seine Berufung in Form von Taxifahren entfaltete.
»He, Mister. wollen Sie eine kleine Stärkung?«
Der Fahrer schwenkte lächelnd ein kleines buntes Päckchen.
»Wissen Sie was das ist?«
Sam kam die Packung bekannt vor, konnte sich aber im Augenblick nicht entsinnen, um was es sich dabei handelte.
»DoubleDip. Kennen Sie die? Diese Brause mit dem Zuckerstab. Ich sag Ihnen, das Zeug hält sie auf den Beinen. Hab schon eine Zwölfstundenschicht hinter mir, aber das gibt mir noch Energie für die die letzten paar Stunden. Das gibt mehr her, als eine Gallone voll Kaffee, können sie mir glauben.« Der Taxifahrer grinste glücklich, riss die Verpackung mit den Zähnen auf und schüttete sich die Brause aus beiden Kammern in den Mund. Anschließend kaute er, wie
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