Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
und Trent verklagt, weil er es wagte, dieses fahrende Unfallrisiko immer noch zu vermieten. Sam nicht. Für ihn war dieser Wagen der Inbegriff soliden amerikanischen Handwerks. Ein waschechter Klassiker.
»Den möchte ich für die nächsten zwei Tage mieten, wenn es Recht ist.«
»Eine ausgezeichnete Wahl. Ich sehe, Sie sind ein Kenner. Und dieses alte Modell ist um einiges günstiger ... Aber wenn Sie doch noch einen Blick auf die neueren Modelle werfen wollen, dann ...«
»Wieso ist der hier nicht fahrtüchtig?«
»Doch, doch. Natürlich.«
»Dann ist ja alles bestens. Ich will ihn haben«, antwortete Sam in einem Ton, der jegliche weiteren Überredungsversuche seitens Trent im Keim erstickte.
»Selbstverständlich. Wie Sie wünschen, Sir.«
Sam folgte dem papagalloartigen Verkäufer in das Büro, füllte sämtliche notwendigen Formulare für den Wagen und die Versicherung aus, bezahlte und spazierte mit den Schlüsseln in der Hand freudig hinaus zum Wagen.
Er setzte sich hinter das Steuer, sog das Flair der amerikanischen Karosse mit tiefen Atemzügen in sich auf. Es war unglaublich, aber das Auto roch geradezu … amerikanisch. Besser konnte es Sam nicht ausdrücken. Der berühmte amerikanische Traum existierte inmitten dieser Ansammlung aus Metallrahmen, Motorteilen und Gummireifen. Der Innenraum war geräumig wie man es von Wagen europäischer Fabrikation nicht gewöhnt war. Saskia und Sam nannten zwar einen Van ihr Eigen, aber mit dem konnte er nicht mithalten.
Es kribbelte ihm in den Fingern und er ließ den Motor an. Das Blubbern und Grölen verursachten ihm eine Gänsehaut. Es steckten schiere Energie und Kraft in der Höllenmaschine. Sam lenkte den Wagen ein Stück den US Highway 80 entlang und bog dann in die Elwood Road ein, die direkt auf geradem Wege mitten ins Herz von Flagstaff führte.
Sein erstes Auto war ebenfalls ein Chevy gewesen. Genauer gesagt war es ein 57er Chevy Bel Air.
Er konnte sich noch erinnern, als er den Wagen gekauft hatte. Es war nichts weiter als ein Schrotthaufen gewesen. Aber er fuhr noch und das obwohl die Karosse seit fünfzehn Jahren keinen Asphalt mehr gesehen hatte. Sam steckte sein ganzes Herzblut in den Wagen - gut, das meiste davon erledigten Mechaniker, weil er keine Ahnung von Reparatur, geschweige denn von Tuning hatte.
Sein Traum vom eigenen Auto war wahr geworden. Seine Eltern schlugen die Hände zusammen angesichts des Musclecars und beteten bei jeder seiner Ausfahrten zum lieben Gott, dass dieser Wagen nicht der Sargnagel ihres geliebten Sohnes werden würde. Als Sam mit der Schreiberei ernsthaft begonnen und seine eigene Wohnung hatte, verkaufte er schweren Herzens den Bel Air. Er wünschte, er hätte es nie getan und ihn stattdessen seinem Vater geschenkt, doch leider wollte der den Wagen nicht; er beharrte auf die Sicherheit seines modernen europäischen Firmenwagens, denn dieser hatte wenigstens Airbags. An jenem Tag, als der besoffene Truckfahrer sie an der Kreuzung rammte, hatte keine dieser Sicherheitsvorkehrungen Joe Coleman und seiner Frau das Leben gerettet. Im Gegenteil, der Airbag, durch die Wucht des Aufpralls ausgelöst, brach seiner Mutter das Genick. Der Kühlergrill des LKWs bohrte sich in die Fahrerkabine und zermalmte Sams Vater. Sie waren beide sofort tot gewesen.
Wenigstens haben sie nicht viel gespürt, versuchte sich Sam oft einzureden, wenn ihn die Erinnerung an den Verlust der Eltern überkam. Vielleicht wäre alles anders ausgegangen, wenn sie mit dem Bel Air unterwegs gewesen wären.
Das alles hatte sich ereignet bevor Sam Saskia kennenlernte. Seine Eltern hätten sie geliebt, dachte Sam stets und wünsche sich so sehr, dass er die Zeit zurückdrehen könnte, um seine Eltern davon abzuhalten, nach New York zu fahren. Zumindest an diesem einem verfluchten Tag im Mai. Aber er konnte es leider nicht ungeschehen machen. Niemand konnte das. Die Zeit war nun mal eine Einbahnstrasse.
Wenn es noch ein Ereignis, außer den Tod seiner Eltern, gab, das er gerne rückgängig gemacht hätte, dann waren das die Geschehnisse im Sommer 1987. Sam hatte keine Ahnung wieso dem so war. Aber seit dem Erhalt der Einladung zum Klassentreffen versuchte sich diese dunkle, scheinbar verdrängte Erinnerung ihren Weg an die Oberfläche zu bahnen. Und die Empfindung wurde stärker. Mit dem Schütteln des Kopfes kämpfte er das Gefühl nieder. Sicherlich war er nur wegen des bevorstehenden Klassentreffens nervös, beruhigte er sich.
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