Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
zugezogen hatte. Vermutlich waren beide Trommelfelle bereits von Löchern übersät.
Jake war ruhig, konzentriert. Alles um ihn herum war still. Er breitete die Arme aus, stieß sich kräftig vom Felsen ab. Für eine Sekunde lang schwebte er förmlich waagrecht in der Luft, einem Raubvogel gleich, ehe er kurze Zeit später im Steilflug mit neunzig Sachen in das Wasser schoss. Aber dadurch noch niemand von dieser Plattform gesprungen war, berechnete Jake die Position und somit den Zeitpunkt des Eintauchens völlig falsch. Statt senkrecht wie ein Pfeil in das Wasser zu schießen, kippte er kurz vor der Oberfläche vornüber. Diese wenigen Grade reichten bereits aus um eine Katastrophe herbeizuführen.
Das Wasser war hart wie Beton. Der Schmerz überkam ihn mit der Wucht einer rasenden Lokomotive. Blitze explodierten in seinem Kopf, Sterne tanzten vor seinen Augen. Dann wurde das Universum schwarz.
Das Resultat seiner Unachtsamkeit: Ein gebrochenes Schlüsselbein, eine ausgekugelte Schulter und ein zertrümmertes, linkes Bein. Der Schienbeinknochen ragte wie ein knorriger Finger aus seinem Fleisch, der Fuß selbst zeigte grotesk in die falsche Richtung. Von Beulen, Prellungen und Abschürfungen am restlichen Körper ganz zu schweigen. Dabei hatte er noch Glück im Unglück gehabt.
Die Quebrada hatte ihn diesmal nicht ungeschoren davonkommen lassen, aber immerhin lebte er noch.
Das war ein Schuss vor den Bug. Seine Karriere konnte er für einige Zeit vergessen, vielleicht auch für immer. Sein erster Gedanke war - als er im Krankenhaus nach der Operation wieder zu sich kam - dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er mit dem Schädel gegen die Felsenwand gedonnert wäre.
Das war vor sechs Monaten gewesen. Nach all der physikalischen Therapie musste Jake feststellen, dass er nicht mehr der Alte war. Kein einziges Mal war er seit dem Unfall gesprungen. Bis heute.
Jake entledigte sich seiner Kleidung, kletterte, so gut es sein schlimmes Bein erlaubte, die große Pappel hoch - bei jedem Ast, auf den sein linkes Bein trat, durchzuckte ihn ein höllischer Schmerz. Doch schließlich schaffte er es bis ganz nach oben.
Er stand jetzt genau da, wo er vor über zwanzig Jahren seine Karriere als Klippenspringer begonnen hatte. Vorsichtig testete er, ob der Ast ihn auch trug und blickte nach unten. Seine Beine zitterten und es dauerte einen Moment, bis er seine Muskeln wieder im Griff hatte. Sein allergrößter Feind war jedoch seine eigene Psyche. Schweißperlen standen auf Jakes Stirn und die rührten nicht von der Hitze her. Für einen kurzen Augenblick übermannte ihn Schwindel.
Ein Eichelhäher krächzte in der Ferne und ein Eichhörnchen schimpfte ganz in seiner Nähe.
Jake blendete die Geräusche aus, konzentrierte sich, wie er es immer tat, sog die frische Luft tief ein - und sprang.
Da er nicht wusste, wie tief der See abgesunken war, entschied sich Jake für eine Arschbombe. Zu seiner Überraschung war das Wasser nicht so kalt, wie er anfangs gedacht hatte. Doch wichtiger war, dass dies der erste Sprung nach langem war und er heil und gesund wie ein Fisch im Wasser schwamm. Als hätte er den Weltmeistertitel wiedererlangt, streckte Jake die Faust zum Jubel empor. Das imaginäre Publikum applaudierte.
Er hatte es immer noch drauf, das war der Beweis. Hier wo alles angefangen hatte, rehabilitierte Jake sich wieder.
Jake schwamm noch eine paar Längen um seine Muskeln zu lockern, kletterte dann ans Ufer - dabei achtete er sorgfältig darauf, den wuchernden Giftsumach nicht zu berühren - und stieg erneut den Baum hoch. Jake ging die gleiche Prozedur noch einmal durch. Und diesmal ging alles viel leichter von der Hand. Kein Muskelzittern, keine Schweißausbrüche, keine Angstattacken.
Am anderen Ufer flog eine laut kreischende Schar von Eichelhähern über einer Baumkrone auf, aber das registrierte Jake nicht. Er war viel zu sehr beschäftigt, ein drittes Mal den Baum hochzuklettern.
Und noch etwas bemerkte Jake nicht: die Gestalt die aus dem Wald trat und ihn beobachtete.
Kapitel 17
Madison Franklins Rückkehr
Madison Franklin kam in Lexington am späten Vormittag an. Sie war überaus froh, wieder einmal auf andere Menschen zu treffen, obwohl sie mit Flagstaff lange fertig war. Die Trennung von ihrem Ex-Verlobten Dan im letzten Monat war zermürbend gewesen. Seelische und körperliche Schäden waren das Resultat, wenn man drauf hoffte, dass sich ein gewalttätiger Trinker
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