Dark Village - Das Böse vergisst nie
einen winzigen Augen blick drehte sie sich um und warf einen letzten Blick zurück zu den Wohnzimmerfenstern.
Und obwohl ihr Herz laut im Kopf klopfte, sie genau wie Vilde, Trine und Benedicte Lust hatte, laut zu schreien, und sich alles um sie herum völlig unwirklich anfühlte, blieb die Welt für einen ganz kurzen Moment stehen, und sie erhaschte einen glasklaren Blick auf das Detail, das später so unendlich wichtig werden sollte.
Ein Schatten im Fenster, ein Lichtstreifen, und plötzlich ent deckte sie einen Mann. Vielmehr sah sie einen nackten Ober arm und eine Schulter.
Der Körper wirkte stark und geschmeidig.
Und auf dem Oberarm war eine Tätowierung.
Sie war klein, aber Nora konnte sie deutlich erkennen und sich später genau daran erinnern, weil sie so prägnant war. Es war nur ein Buchstabe. In Rot mit dünner schwarzer Umran dung. Es war ein K.
8
„Heilige Scheiße“, lachte Benedicte. „Ich habe Harz am Hin tern.“ Sie rubbelte wie verrückt an ihrer Hose. „Das juckt total!“
Die anderen brachen vor Lachen zusammen.
„Harz am Hintern“, japste Trine. „Wie zum Teufel hast du das denn geschafft?“
„Ich hatte noch was an der Hand. Und als ich dann die Hose runtergezogen habe … jetzt klebt mir das Zeug am Po.“
An diesem Abend waren sie fröhlich. Arm in Arm liefen sie nach Hause. Es war wie früher, als sie klein waren und es kein einziges Problem auf der Welt gab. Sogar Vilde lachte, als Trine sie ärgerte und Einer für alle, alle für einen! rief.
Sie wussten es nicht.
Aber der Stein war ins Rollen gekommen.
Das Unglück hatte seinen Lauf genommen.
Es ging auf zehn Uhr zu. Bald waren es nur noch zwanzig Tage, bis eine der vier Freundinnen aufgefunden werden würde.
Nackt im See treibend.
In Plastikfolie eingewickelt.
Ermordet von jemandem, den sie kannte.
20 Tage vor dem Mord
Sometimes I feel so weak I just want to explode
Explode and tear this whole town apart
Take a knife and cut this pain from my heart
Find somebody itching for something to start
The Promised Land, Bruce Springsteen
1
Als Nora aufwachte, hatte sie Angst. Ihr allererster Gedanke war: Was, wenn die Viksveen uns gesehen hat? Es war dunkel, aber trotzdem … Was, wenn sie uns wiedererkannt hat?
Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Vergiss es.
Es war kalt in ihrem Zimmer, viel kälter als es noch vor zwei Wochen gewesen war. Nora warf einen Blick zum Wecker auf ihrem Nachttisch. Zehn Minuten bis zum Klingeln.
Sie kauerte sich zusammen und klemmte die Decke zwischen die Knie. Es fühlte sich gut an. Langsam wurde ihr warm.
Sie spürte Lust in sich aufsteigen, auf eine unbestimmte und gemütliche Art, genau richtig. Sie hatte keine Eile, sondern wollte einfach nur ewig so daliegen.
Irgendwo in ihrem Körper löste sich ein geräuschloser Seuf zer. Sie kuschelte sich in die weiche Matratze und glitt zurück in einen Halbschlaf.
Aber die Zeit verging wie im Fluge. Zehn Minuten – puff .
Der Wecker klingelte.
Jetzt wollte sie noch viel weniger aufstehen. Und jetzt machte die Lust sich richtig bemerkbar.
Sie musste an Synnøve Viksveen und ihren Männerbesuch denken, wie sie halbnackt am Fenster gestanden hatte. Hatte sie es wirklich im ganzen Haus mit ihm getrieben? Hatte sie darum die Vorhänge zugezogen? Warum waren sie nicht einfach hoch ins Schlafzimmer gegangen? Das war doch bestimmt im ersten Stock, dort hätte sie sowieso niemand sehen können.
Ob die Viksveen es lieber auf dem Sofa machte? Oder in der Küche? Auf dem Küchentisch! Oder auf dem Fußboden im Wohnzimmer? Vielleicht vor dem Kamin? Oder waren sie ein fach so heiß aufeinander gewesen, dass sie es nicht mehr bis nach oben geschafft hatten und an Ort und Stelle übereinander hergefallen waren?
Nora konnte Synnøve Viksveen vor sich sehen, wie sie nackt und braun, mit großen wogenden Brüsten einen Mann unter sich hatte, zwischen ihren Beinen, und wie sie ihn ritt, wie sie ihn bumste, und er genoss es, er hielt sie fest und …
Das Handy klingelte. Ein Soundfile, das Trine ihr aufgenom men hatte, ertönte: „Geh dran. Bist du da? Geh dran. Warum gehst du nicht ans Telefon? Geh dran!“
Die Stimme wurde immer lauter. Es war ein richtig blödes Gefühl, ausgerechnet jetzt von Trine gestört zu werden. Als hätte sie Nora auf frischer Tat ertappt.
Sie schaute sich um. Wo war das Ding? Es lag nicht auf dem Nachttisch.
Mist!
„Geh endlich dran, dran, dran!“
Sie suchte auf dem Boden, neben dem Bett, unter
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