Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
sie sagte nichts. Wenn sie die Angelegenheit zu kämpferisch verfolgte, würde er nur störrisch und übellaunig werden. Mit einem Maß an Selbstbeherrschung, das sie als verwöhnte junge Königin nie hatte aufbringen müssen, verzichtete sie darauf, das Thema zur Sprache zu bringen.
Rafaels Miene blieb gelassen, als er meinte; »Richte Gerolamo aus, er möchte so freundlich sein, den Gesandten mitzuteilen, dass ich sie empfangen werde. Sie sollen sich bereithalten.«
Als der Page gegangen war, platzte Taniquel heraus: »Onkel! Du wirst doch nicht… «
»Ich habe mich bereit erklärt, sie zu empfangen, den Zeitpunkt habe ich nicht genannt. Wenn du eine Königin wärst, statt nur eine zu spielen, hättest du gelernt, dass es für alles eine richtige Zeit gibt, ob es sich um einen Angriff auf Burg Ambervale oder das Protokoll für den Empfang ungebetener Gäste handelt.«
Sie hörte den spöttischen Unterton in seiner Stimme. »Also wird die Audienz stattfinden, wann du es willst, und nicht, wann sie es wollen.«
»Natürlich. Nichts ist so ernüchternd für das Selbstwertgefühl eines Mannes, wie morgens mit wehenden Fahnen und strahlenden Frauen einzutreffen und erst kurz vor dem Abendessen seine Rede halten zu dürfen, in dem Wissen, dass dann niemand mehr auf ihn hören wird. Ein knurrender Magen kann ein ausgezeichneter Verbündeter sein.«
»Dann kümmere ich mich jetzt um meine Angelegenheiten«, sagte sie und stand auf, »statt uns beide weiter abzulenken. Diese Gesandten können den Tag von mir aus untätig und in Sorge verbringen, aber ich habe Besseres zu tun.«
»Ach«, seufzte er, »das hätte deine Mutter auch gesagt. Du siehst genau wie sie in deinem Alter aus, habe ich dir das schon gesagt?«
Noch während sie lächelte und ihn vor dem Gehen auf die Wange küsste, dachte Taniquel. So oder so, egal wie diese Sache mit Deslucido ausgeht, irgendwann muss ich Thendara trotzdem verlassen. Ich kann nicht mehr das Leben eines Kindes in der Burg meines Onkels führen.
In der großen Halle wartete Taniquel an ihrem üblichen Platz neben dem Thron ihres Onkels. Ihr Stuhl war zwar schmal, hatte jedoch Armlehnen, und nun war sie dankbar, dass sie etwas Festes hatte, das sie mit den Händen umklammern konnte. Hinter dem Podest wimmelte es in der Halle von Dienern, die Vorbereitungen für das Abendessen trafen, Tabletts anordneten, durch Laran entfachtes Feuerholz ersetzten, frische Binsen auslegten, Krüge mit dünnem Wein und Ale, Körbe mit Brot und Schüsseln voll frischer Kirschen und Obst trugen. Eine Dienstmagd beugte sich vor, um den abgenagten Knochen aufzuheben, den die beiden Wachtelhunde, die Rafael sich als Gefährten hielt, übrig gelassen hatten, worauf die Tiere kläfften und umhersprangen, als wäre es ein Spiel.
Auf die Ankündigung des Coridom hin näherten sich die Männer aus Ambervale. Sie waren unbewaffnet gekommen, mit leeren Schwertscheiden. Taniquel kannte den Offizier von der Besetzung Acostas her, obwohl sie nicht wusste, wie er hieß. Er und die anderen verneigten sich mit der Ehrerbietung vor Rafael, die einem König, der zugleich ihr Gastgeber war, gebührte.
Der Offizier, obwohl keine ausgebildete »Stimme«, die der genauen Wiedergabe der Worte fähig gewesen wäre, mit denen er betraut worden war - etwa des Stimmlauts und der Betonung des ursprünglichen Sprechers -, brachte seine Botschaft dennoch gut vor. Nach der üblichen ehrerbietigen Begrüßung verlangte er ebenso weitschweifig wie höflich Taniquels Auslieferung. Er erinnerte an die friedliche Übernahme der Macht in Acosta, die vielen Höflichkeiten, die der jungen Königin erwiesen worden waren, das Angebot einer ehrenhaften Vermählung, das Wehklagen und den Kummer, als man sie in einem Sturm verirrt glaubte, und das begierige und sehnsuchtsvolle Warten des Bräutigams auf ihre Rückkehr. Ganz vortrefflich wies er darauf hin, dass sie und Belisar nach der Tradition der Berge eigentlich schon Mann und Frau seien, auch ohne die Formalität der Di Catenas-Zeremonie, die ihre Vereinigung unanfechtbar gemacht hätte, und dass eine Verhinderung ihrer Rückkehr nichts weiter bedeute, als dass der König sich in die ernstesten und privatesten Familienangelegenheiten einmische.
Taniquel konnte die Miene ihres Onkels nicht sehen, als er lauschte. Er weiß, dass ich nicht eingewilligt habe, dachte sie. Er weiß, dass es eine Lüge ist. Aber es war die Art Lüge, die so leicht daherkam. Deslucidos Abgesandte würden
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