Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
du kannst das Gewebe der Welt durchdringen. Nichts davon kommt leicht und ohne Preis. Und nichts davon wird kommen, wenn du die kleinlichen Streitigkeiten der Welt nicht hinter dir lassen kannst.«
Kierans Stimme veränderte sich, wurde so volltönend, dass Coryn Tränen in die Augen schossen, und auf einmal begriff er, weshalb Gareth mit solcher Leidenschaft von dem Bewahrer gesprochen hatte.
»Du bist nicht mehr Coryn Leynier von Verdanta, und Liane ist nicht mehr Liane Storn von High Kinnally. Du bist Coryn, und sie ist Liane. Nichts sonst. Eines Tages, wenn ihr beide das Talent und die Hingabe habt, um euch hier einen Platz zu verdienen, haltet ihr vielleicht das Leben des jeweils anderen in euren Händen.
Da ist kein Platz für einen kindischen Streit, der euch nichts angeht. Verstehst du mich?«
Coryn schluckte schwer und nickte. Er schwor im Herzen, Liane so zu nehmen, wie sie war, Geplapper und alles andere eingeschlossen. Mit diesem Entschluss passierte er eine unsichtbare Grenze, eine unausgesprochene Prüfung, obwohl er nur den Hauch einer Ahnung hatte, was es für ihn bedeutete. Er wusste lediglich, dass er das, was der Turm ihm anbot, mehr wollte als jemals etwas anderes davor.
Gleich darauf stieg Zweifel wie öliger Rauch in seinen Gedanken auf. Kieran sprach von der Ausschließlichkeit dieser Zielsetzung, davon, die Außenwelt und alle ihre Belange hinter sich zu lassen. Doch Rumail Deslucido diente zwei Herren, dem König und dem Turm…
»Was beschäftigt dich?«
Coryn runzelte die Stirn und suchte nach Worten. »Dom Rumail, der mich testete… « Auf einmal fiel es ihm schwer zu atmen.
»Er… er kam nach Verdanta… nicht als Laranzu… sondern als Sprecher… seines Bruders… von König Damian… «
Coryn brach ab und rang nach Luft.
Kieran nickte ernst. »Ja, einige von uns sind nicht ganz frei von Familienbündnissen, so schön das auch wäre. Und es besteht immer die Angst, dass wir bei einem Konflikt in der Außenwelt auf unterschiedliche Seiten gezogen werden, obwohl zumindest die Hastur versprochen haben, bei einem Krieg nie die Türme und ihre Bewohner gegeneinander auszuspielen.« Der alte Emmasca hielt inne. »Und was diesen betrifft… « Die farblosen Augen, denen nichts entging, flackerten. »Er soll nicht deine Sorge sein. Nun geh zu den anderen.«
Eigenartig gefestigt begab Coryn sich in den großen, sonnenbeschienenen Raum auf der Südseite des Turms, wo Gareth die Novizen in den Grundlagen der Überwachertätigkeit unterrichtete. Sie saßen paarweise auf den allgegenwärtigen niedrigen Bänken um ein Feldbett herum, auf dem einer der älteren Jungen lag. Gareth hielt inne und wiederholte seine Erklärungen, wie man bei angemessener Distanz der Hand vom Körper die Energonkanäle »spüren« konnte.
Einige Minuten später kam Liane herein, die Augen rot und verquollen, als hätte sie geweint. Coryn dachte, dass sein Gespräch mit Kieran nicht so schlimm gewesen sein konnte wie ihres mit Bronwyn. Nach der Sitzung ging er auf sie zu und wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht was. Er wollte den Streit nicht noch verlängern, und zur Hälfte war es ja seine Schuld gewesen.
Gerade als Coryn Liane erreichte, stieß Aran zu ihnen, und seine Augen funkelten vor Abenteuerlust. »Nach dem Essen haben wir eine Stunde frei und dürfen nach draußen. Ist jemand scharf darauf, hier den Abgang zu machen? Können wir dein Pferd nehmen, Liane?«
»Oh!«. Röte stieg wieder in ihre Wangen, doch nicht aus Verlegenheit. »Ja! Können wir nicht alle drei gehen?«
»Du meinst ausreiten?«, fragte Coryn. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass das Leben im Turm so normal sein konnte. In den Stunden seiner Genesung hatte er oft an seinen verschollenen Tänzer gedacht.
»Natürlich!«, sagte Aran. »Früher gab es in Tramontana keine Reittiere, vor der Zeit von König Allart Hastur. Nun stehen in den Turmställen immer ein paar Pferde. Wir dürfen sie für unsere Ausritte verwenden.« Er zwinkerte Coryn zu. »Sie erzählen uns immer, dass wir bei Kräften bleiben müssen, um all diese Matrix-Arbeit verrichten zu können.«
Ein Bild nahm vor Coryns Augen Gestalt an, wie sie drei lachend über die Hügel galoppierten, der Wind sang in seinen Ohren, und die süße, warme Freude des Pferdes unter ihm flutete noch, so dass er eins mit dem Tier wurde, und mit dem Falken hoch oben, der nicht mehr als ein Fleck vor der Sonne war, und dem säuselnden Gras. Grün, golden und blau schimmerte es um ihn
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