Darkover 06 - Die Flamme von Hali
nicht sehr. Tau verdunstete auf den Gräsern, als die große Blutige Sonne am Firmament höher kletterte. Vögel sangen in den Hecken und verstummten dann, um gleich darauf wieder einzusetzen.
So war das Leben, dachte Dyannis, voller Anfänge und Abschlüsse. Freude wallte in ihr auf, freudige Erregung gegenüber dem neuen Leben, das auf sie wartete.
Allerdings gab es einen Aspekt an Felicias Tod, der noch immer an ihr nagte. Lange bevor sie den Turm erreichten, sprach sie Varzil darauf an.
»Warum wollte Eduin Felicia und Carolin gleichermaßen Schaden zufügen? Carolin wird sich zwangsläufig Feinde gemacht haben, erst als Prinz und dann als König. Welcher mächtige Lord tut das nicht? Vielleicht hat er Eduin irgendwie verletzt, und Eduin tat so, als wäre er sein Freund, bis er zurückschlagen konnte.«
»Das habe ich mich auch gefragt«, entgegnete Varzil. »Damals glaubte ich, Eduin verabscheue meine Freundschaft zu Carolin aus Eifersucht, aber es kann auch sein, dass ich zwischen ihn und sein eigentliches Opfer geraten bin.«
»Das erklärt nicht Eduins Anschlag auf Felicia«, gab Dyannis zu bedenken.
Varzil seufzte, ein kaum hörbarer Atemzug. »Bevor Felicia nach Arilinn kam, hatten sie und Eduin sich nie getroffen. Davon bin ich überzeugt. Mehr noch, ich kann nicht glauben, dass er sie aus persönlichen Gründen hasste.«
Dyannis runzelte die Stirn. »Es ergibt keinen Sinn - Felicia und Carolin stammen von verschiedenen Zweigen der Hastur-Familie ab, und soweit ich weiß, ist nun aus Königin Taniquels Geschlecht niemand mehr übrig. Deshalb ging die Krone doch an Felix von Carcosa, als König Rafael II. starb. Weißt du«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, »ich habe meine Geschichtsbücher studiert. Wenn du Recht hast, hat Eduin Felicia nicht wegen etwas getötet, was sie getan hat, sondern weil sie das letzte verbliebene Kind von Königin Taniquel war.«
»Dann war da noch etwas«, fuhr Varzil fort. »Als ich der mentalen Fährte des Attentäters vom Blauen See in die Überwelt folgte, hatte ich kurz eine Burg vor Augen, deren Banner ein weiß-schwarzes Diamantenmuster zeigten.«
Dyannis blickte ihn an. »So eines kenne ich nicht.«
»Weil es das nicht mehr gibt. Es gehörte der Familie Deslucido.«
»Der aus den Balladen?« Sie erinnerte sich an Geschichten aus ihrer Kindheit, obwohl wenige Harfenspieler die Lieder dieser Tage noch sangen. König Damian Deslucido hatte seine kleineren Nachbarn überrannt, darunter Acosta, die Heimat der berühmten Königin Taniquel. Sie konnte dem Gemetzel entgehen und dank ihres Onkels König Rafael Hastur II. mit einer Armee im Rücken zurückkehren. »Wo soll da der Zusammenhang sein? Das ist eine Generation her.«
»Gerade du, eine Ridenow unter Hasturs, solltest wissen, dass Hass und Argwohn nicht über Nacht verschwinden.«
»Ich meinte nur: Wenn die Familie ausgelöscht wurde, sollte niemand mehr übrig sein, der die Fehde weitertragen kann.« Schaudernd kam ihr ein Gedanke. »Könnte Eduin mit dieser Familie zusammenhängen?«
Eduin hatte nie von seiner Kindheit oder seinen Verwandten gesprochen. Dyannis hatte angenommen, dass er sich schämte, von armen Leuten oder solchen niedriger Geburt abzustammen, und sie war damals zu sehr verliebt gewesen, als dass es sie gestört hätte.
»Das könnte durchaus sein«, sagte Varzil, »auch wenn wir es vielleicht nie mit Gewissheit erfahren werden. Falls Eduin mit den Angriffen auf Carolin zu tun hatte, darunter dem Anschlag am Blauen See, ging sein Motiv über persönlichen Hass oder Abscheu hinaus. Das genaue Wort, an das der sterbende Attentäter dachte, war Vergeltung .«
Varzil und Dyannis wollten nur vorübergehend in der Stadt Hali bleiben, im alten Palast der Hasturs. Sie hatten eigentlich vorgehabt, von dort zum Turm weiterzureisen, aber Varzils Geschäfte verzögerten sich.
Als Dyannis ein wenig Freizeit hatte, suchte sie die Palastbibliothek auf, um nachzusehen, was sie über den Krieg mit Deslucido in Erfahrung bringen konnte. Sie hoffte, einige Berichte der Gefolgsleute König Damians zu finden, die überlebt hatten, vielleicht sogar den Namen MacEarn. Aber wenn es einen solchen Bericht gab, war er nicht katalogisiert und in Vergessenheit geraten, denn sie fand keine Spur. Dafür schien der gesamte Sieg in eine so vage, blumige und poetische Sprache gehüllt zu sein, dass sie überzeugt war, die Chronisten hatten die Schlacht
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