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Darkover 06 - Die Flamme von Hali

Titel: Darkover 06 - Die Flamme von Hali Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley / Deborah J. Ross
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nie mit eigenen Augen gesehen. Bei der Hälfte dessen, was sie las, schien es sich um traditionelle Beschreibungen zu handeln, die auf fast jede Schlacht zutrafen, und die andere Hälfte wimmelte von seltsam unvollständigen Details. Genau wie in den Archiven von Hali schienen diese Berichte ein bewusster Versuch zu sein, durch Weglassung in die Irre zu führen. Was, fragte sich Dyannis, sollten sie verbergen?
   Dyannis beschloss, selbst einige Nachforschungen anzustellen. Vielleicht gab es einen älteren Kurier, der sich noch an König Rafael oder sogar Taniquel erinnerte. Wenn sie so jemanden dazu bringen konnte, sich zu erinnern, deckte sie vielleicht eine Verbindung auf, einen vergessenen Groll, der nicht in die Chroniken Eingang gefunden hatte.
   Sie kannte den Palast von ihrem ersten Besuch am Mittwinterfest her, als sie Eduin begegnet war. Die Räumlichkeiten wurden noch verwendet, wirkten aber schon recht abgenutzt. Die Holzarbeiten hatten den feinen, harten Glanz des täglichen Polierens verloren, und die Wandbehänge, die den Steinwänden etwas Weiches verliehen hatten, waren mit den Jahren staubig geworden. Dennoch waren ihre Unterkunft angenehm und das Kaminfeuer am Abend großzügig, das Federbett weich und die Speisen schmackhaft zubereitet.
   Während Varzil den einen oder anderen Botengang für König Carolin verrichtete, stellte Dyannis ihre Erkundigungen an. Die meisten älteren Höflinge waren schon lange tot, und die wenigen, die es noch gab, lebten in Thendara. Lady Bronwyn war an diesem ersten Mittwinterfest schon nicht mehr die Jüngste gewesen, und Dyannis vermutete, dass die alte Dame gestorben war.
   »O nein, Vai Leronis «, sagte die Magd und machte zum vierten oder fünften Mal einen Knicks, »obwohl die Einzigen, die sie dieser Tage zu sehen bekommen, ihr Leibdiener und manchmal noch Dom Raimon sind, wenn er den Turm verlässt. Andere Besucher empfängt sie nicht, und ich glaube nicht, dass sie ihre Gemächer in den letzten fünf Jahren auch nur einmal verlassen hat.«
   Dyannis schickte einen Pagen, der sich erkundigen sollte, ob sie mit einem Treffen einverstanden wäre. Wenige Stunden später erhielt sie eine Einladung. Der Page führte sie zu dem alten königlichen Flügel, an Zimmerfluchten vorbei, die nun ungenutzt und verschlossen waren. Lady Bronwyns Unterkunft musste für eine längst vergangene Kindprinzessin errichtet worden sein, denn die Türöffnung, wie zwei alte Bäume geschnitzt, die sich einander zuneigten, war schmal und für eine erwachsene Frau beinahe zu niedrig.
   Dyannis hob den Riegel und trat ein. Der wunderschön aufgeteilte Achteckraum wurde von Fenstern und Sitzen mit weichen Kissen gesäumt. Ein kleines Feuer prasselte heimelig in dem Ofen aus temorischem Marmor, auf dem Seejungfrauen eingemeißelt waren, in deren langen, gewundenen Haarlocken echte Einlegeperlen saßen. Schmale, durchscheinend blaue Steinreihen führten aufwärts, um an der Decke ein Sternenmuster zu bilden.
   Eine alte Frau lag auf einem Diwan neben dem Kamin, ihre Gestalt unter den spitzengesäumten Decken verborgen. Eine Haube aus schneeweißer Gaze umrahmte ihr Gesicht. Sie hob eine Hand, die Knöchel groß und knorrig, und bedeutete Dyannis, näher zu treten.
   Dyannis spürte das Verlangen, einen Knicks zu machen, wie die Magd es eben getan hatte. Dann empfing sie die Gedanken der alten Frau, wie ein Spiel silberner Glöckchen.
   Vergebt mir, mir war nicht klar gewesen, dass ihr auch eine Leronis seid .
   »Oh ja, obwohl meine Macht nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.« Die Stimme war dünn und unsicher, und die Worte wurden von Pausen unterbrochen, in denen sie Atem holte. »Ich kann nicht mehr in Gedanken zu dir sprechen, sodass du schon mir vergeben musst.«
   Dyannis zog sich den Schemel heran, auf den Lady Bronwyn deutete. Aus dieser Nähe wirkte das Gesicht der Frau wie eine verblichene Blume, die Haut warf hunderte kleiner Fältchen, und jede gab einen Augenblick ihres Lebens wieder, des Leids, der Freude, der Kraft. Bald sprachen sie ganz ohne Hemmungen miteinander.
   »Du bist also die Schwester des jungen Varzil, den Felicia so sehr liebte. Sehr interessanter Junge, dieser Varzil. Er und Carlo befinden sich in dem Alter, weißt du, in dem sie noch glauben, sie könnten die ganze Welt verändern.« Lady Bronwyn hatte zweifellos schon mehrere Generationen junger Männer erlebt, die von ihren Idealen erfüllt gewesen waren.
  

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