Darkover 09 - An den Feuern von Hastur
Ungeachtet Leonies Selbstsicherheit fand sie die Idee grotesk.
»Genau.« Leonie legte den Kopf zurück, sah das jüngere Mädchen von oben herab an und zeigte das Lächeln, das Geheimnisse verbirgt.
Rohana seufzte verzweifelt. »Und du bist so überzeugt, daß du das schaffst? Hast du auch die Gabe des Vorherwissens? Läuft alles immer so, wie du es erwartest?«
»Fast alles«, erwiderte Leonie mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Arroganz. »Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich mich selten irre. Und Fiora hat mir gesagt, ich hätte die Begabung für die Ausbildung zur Bewahrerin. Deshalb halte ich die Entwicklung für so wahrscheinlich, daß sogar mein Bruder darauf wetten und seinen Gewinn einstreichen könnte.«
Ihre Selbstsicherheit brachte die für gewöhnlich sanftmütige Melora nun doch auf. »Oh, wahrscheinlich wirst du damit enden, daß du heiratest, ganz wie wir anderen«, sagte sie ärgerlich.
» Nein, ich werde nicht heiraten. « Unter dem seltsamen Blick, mit dem Leonie sie maß, wurde Melora unbehaglich zumute. Es war, als sehe Leonie sie nicht an, sondern durch sie hindurch. »Und du auch nicht«, setzte Leonie mit merkwürdig ausdrucksloser Stimme hinzu.
»Und ich?« fragte Rohana schnippisch.
»Ja, du wirst heiraten.« Leonie sprach immer noch mit dieser flachen, dünnen Stimme. »Aber trotzdem wirst du einen Sitz im Rat bekommen.« Stirnrunzelnd richtete sie den Blick nicht auf Rohana, sondern auf etwas, das sie allein sehen konnte. »Ich verstehe nicht, wie, aber ich weiß, daß es geschehen wird… «
Sie verstummte und starrte weiter ins Leere.
Rohana versuchte, die Kälte, die sich plötzlich auf die Mädchen niederzusenken schien, mit einem Achselzucken abzutun. Erbost fuhr sie Leonie an: »Also bist du jetzt eine Wahrsagerin auf dem Marktplatz? Oder vielleicht möchtest du die graue Robe der Priesterinnen Avarras anlegen und herumlaufen und Unheil verkünden! Die alte Martina, die die Zofe meiner Mutter war, pflegte hin und wieder ins Prophezeien zu geraten, und sie konnte Schnee zu Mittwinter ebenso gut vorhersagen wie sonst einer.«
Vielleicht hätte Rohana noch mehr gesagt, aber das leise Geräusch von Schritten unterbrach sie. Die Mädchen verstummten und ließen die vergessene Schaukel auspendeln. Jemand hatte den Garten betreten.
Mehr als nur »jemand«. Die sich ihnen nähernde Gestalt war so eindrucksvoll, daß sie die Aufmerksamkeit auch solcher Leute auf sich gezogen hätte, die sie oder die Bedeutung ihrer karminroten Gewänder nicht kannten. Fiora, die Bewahrerin von Dalereuth, war ein Albino, hochgewachsen und merkwürdig aussehend mit ihrem weißen Haar und den hellen, vollständig blinden Augen. Trotzdem schritt sie sicher den Pfad entlang. In ihrer Robe wirkte sie substanzlos, und doch hatte sie eine Präsenz und eine Würde, die nicht von einer hohen Geburt herrührten.
Sie fragte nicht, wer da sei, sondern sagte nur: »Leonie.«
»Ich bin hier, Lady.« Leonie hob den Kopf, während die beiden anderen Mädchen die Köpfe leicht gesenkt hielten. Sie sah Fiora gerade in die hellrosa Augen, obwohl ihr das ein irgendwie merkwürdiges Gefühl vermittelte. Die Augen niederzuschlagen, wäre mit dem Geständnis gleichzusetzen gewesen, daß die Bewahrerin sie einschüchterte, und das hätte sie niemals zugegeben.
Fiora wußte, was hinter diesem leicht unverschämten Blick steckte, und wünschte, das Mädchen hätte ebensoviel Verstand wie Stolz. »Ich muß mit dir reden. Soll ich die anderen wegschicken?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr mir etwas zu sagen haben könntet, was sie nicht hören dürften«, antwortete Leonie. Die leichte Betonung des »Ihr« ärgerte Fiora. Sie wußte, daß das Mädchen hatte beleidigend sein wollen.
Aber wenn sie darauf reagierte, spielte sie Leonie in die Hände, und diese Absicht hatte sie nicht.
»Dann können sie bleiben, wenn du es so wünschst«, sagte Fiora ruhig, »obwohl ich dir ohne deine Zustimmung niemals vor anderen einen Vorwurf gemacht hätte. Wie ich hörte, glaubst du, für das ungewöhnliche Wetter der letzten paar Tage verantwortlich zu sein.« Sie legte ihrerseits ein wenig Nachdruck auf das »glaubst du«, als wolle sie andeuten, das Mädchen lüge oder phantasiere.
»Nun, das bin ich ja auch«, sagte Leonie gelassen. »Na und? Ich wollte die Monde sehen. Irgend etwas kommt auf uns zu, und ich spüre, daß es von den Monden
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