Darkover 10 - Die zerbrochene Kette
schritt weiter vor, und die Kälte nahm zu. Magda, die in den Bergen geboren war, machte die Kälte nichts aus, zumindest dann nicht, wenn sie zweckentsprechende Kleidung tragen durfte. Die meisten Terraner vergruben sich in ihren Quartieren wie Tiere in ihren Winterhöhlen und wagten sich nur hinaus, wenn sie mußten. Die Mannschaften der Sternenschiffe, die hier landeten, beschränkten ihren Aufenthalt auf das Minimum. Selten sahen sie sich im Hafen um, und in die Altstadt gingen sie nie. Immer häufiger trug Magda, ohne sich um die offizielle Mißbilligung zu kümmern, ihre darkovanische Kleidung auch im HQ; die langen Röcke und schweren Unterröcke mochten unbequem sein, aber sie hielten warm. Eines Nachmittags, als sie nach einem in der Altstadt verbrachten Tag zurückkehrte, schneite es so heftig, daß ihr der Gedanke verrückt erschien, die terranischen Synthetiks anzulegen. Wie sie war, ging sie in die Personalabteilung und zu der Stelle, wo ihre Beobachtungen aufgezeichnet wurden. Montrays hübsche Assistentin, die einen dicken Pullover trug, sah sie neidisch an. »Ich kann es dir nicht verübeln, daß du Eingeborenenkleidung trägst. Fast bin ich versucht, mich in deine Abteilung versetzen zu lassen, damit ich mich dem Klima entsprechend anziehen kann. Ich weiß nicht, wie du es fertigbringst, dich in dem Zeug zu bewegen - aber warm sieht es aus!«
Magda grinste sie an. »Die übliche Frage.«
»Die übliche Antwort. Tut mir leid«, antwortete Bethany, ernst werdend. »Keine Nachricht von Peter. Heute morgen hat der Chef ihn von der Liste der aktiv Diensttuenden gestrichen. Er gilt jetzt als vermißt. Die Gehaltszahlung wird eingestellt, bis er sich offiziell meldet, und so weiter.«
Magda zuckte zusammen. Der nächste Schritt würde sein, ihn als vermißt, vermutlich tot zu erklären.
Bethany versuchte, sie zu trösten. »Bis jetzt ist noch nichts endgültig. Vielleicht hat er einen sicheren Ort gefunden, wo er überwintert. In diesem Wetter könnte er niemals reisen, auch wenn sonst alles in Ordnung wäre.«
Magdas Lächeln zog nur ihren Mund in die Breite. »Der Winter ist noch längst nicht da. Bis zu dem Zeitpunkt, da das Reisen unmöglich wird und alle Tätigkeiten bis zur Frühjahrsschmelze eingestellt werden, ist es noch beinahe vier Monate. Die Pässe in die Hellers sind immer noch offen.«
»Du machst Witze!« Erschauernd sah Bethany in den tobenden Sturm hinaus. »Aber du müßtest es wissen, du bist bei dem Wetter draußen gewesen. Im Sommer, finde ich, ist dein Job das reinste Zuckerlecken - nichts zu tun, als sich in der Stadt unter die Menschen zu mischen und ihren Gesprächen zuzuhören. In einem solchen Wetter dagegen - es wundert mich, daß man diesen Planeten nicht Winter genannt hat.«
»Das ging nicht, einen mit diesem Namen gibt es bereits. Lies irgendwann einmal die Berichte. Da wir von Berichten sprechen, ich sollte meinen jetzt abfassen.«
»Ist das wirklich alles, was du tust - daß du Gesprächen zuhörst?«
»Das und eine Menge mehr. Ich achte auf die Moden, die die Frauen tragen, mache linguistische Notizen über neue Ausdrücke und Veränderungen im lokalen Slang… Sprachen ändern sich immerzu, weißt du.«
»Tatsächlich?«
»Benutzt du noch die gleichen Slangausdrücke wie mit sieben Jahren? Es ist nicht schlimm, wenn ein Agent ein paar überholte Ausdrücke gebraucht; Menschen übernehmen Redewendungen von ihren Eltern, und alle neigen dazu, diejenigen beizubehalten, die in ihrer Jugend modern waren, als man Beziehungen zu seinesgleichen anknüpfte. Aber auf gar keinen Fall darf ein Undercover-Agent sprechen, als habe er die Sprache aus einem Buch gelernt. Deshalb arbeite ich ständig daran, uns auf dem laufenden zu halten. Montray kommt damit durch, weil er gegenüber Darkovanern als Terraner auftritt. Für ihn ist es schon allerhand, daß er die Sprache überhaupt beherrscht. Spräche er sie zu gut, würde er damit auf subtile Weise eine Überlegenheit demonstrieren, die in den Darkovanern, mit denen er zusammentrifft, Widerstand erzeugen müßte. Es ist doch selbstverständlich, daß sie besser sprechen als er! Aber der Agent, der auf der darkovanischen Seite arbeitet, darf im Slang keine Fehler machen. Deshalb muß sich jeder der Sprachentwicklung anpassen.«
Bethany blickte verwirrt drein. Magda erläuterte: »Paß auf. Da gibt es zum Beispiel einen Ausdruck, der wörtlich übersetzt ›Entertainer‹ oder
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