Darkover 16 - Die Winde von Darkover
Sprichwort: Voraussicht könnte weise Männer aus Durramans Eseln machen! Ebensogut hätte sie sich vorwerfen können, daß Allira nicht an einen mächtigen Mann verheiratet worden war, der mit achtzig Kriegern zu ihrer Verteidigung herbeigeeilt wäre.
Sie streckte die Hand aus und klopfte scharf an das Glas, und wieder kam ihr das deutliche Bild, daß Brynat in den Sturm hinausblickte. Es war so lebensecht, daß sie körperlich zurückwich, sich gegen das Geländer drückte und ihren Mantel um sich zog. Das geschah gerade noch rechtzeitig; eine bräunliche Hand schob den Vorhang beiseite, und Brynats Narbengesicht wandte sich von links nach rechts und spähte in die Dunkelheit.
Melitta versuchte, sich unsichtbar zu machen. Nach einer Minute, die ihr endlos vorkam, wandte Brynat sich ab, und die Lampe ging aus. Der Vorhang fiel an seine alte Stelle zurück. Melitta sank keuchend auf den Steinboden nieder und gab sich Mühe, nicht zu atmen.
Die Zeit schleppte sich hin. Die Monde gingen unter, und dem zitternden Mädchen wurde kälter und kälter. Stunden später - sie fragte sich schon, ob die aufgehende Sonne sie noch hier finden werde - begann ein feiner, dünner Regen zu fallen. Das spornte sie an, denn ihr war klar, daß sie, welche Gefahr es auch bedeutete, bis zum Morgengrauen verschwunden und an einem Ort sein mußte, wo sie sich den Tag über verstecken konnte. Und wenn sie das Glas der Türen einschlug und Brynat im Schlaf die Kehle durchschnitt, sie mußte irgend etwas unternehmen.
Sie spannte ihre Muskeln, und da schimmerte ein schwacher Lichtschein zwischen den Vorhängen auf. Melitta bereitete sich darauf vor, gegen die Riegel zu springen. Dann stahl sich eine feine Hand durch den Spalt, der Riegel erzitterte im Holz, und ihre Schwester Allira, eingehüllt in ein langes wollenes Hemd, das Haar aufgelöst, drückte die Tür nach außen. Mit großen Augen sah sie Melitta genau ins Gesicht.
Melitta hob eine Hand zum Mund. Sie fürchtete Alliras Nerven und einen plötzlichen Aufschrei, aber Allira preßte nur mit einem Seufzen der Erleichterung die Hände aufs Herz. Sie hauchte: »Ich wußte , daß du da warst, und ich konnte es nicht glauben - Melitta, wie bist du hergekommen?«
Melitta antwortete mit einem Ruck ihres Kopfes die Mauer hinauf und flüsterte: »Keine Zeit jetzt! Brynat… «
»Schläft«, stellte Allira lakonisch fest. »Er schläft mit einem offenen Auge wie eine Katze, aber jetzt eben - lassen wir das. Melitta - hast du eine Waffe?«
»Keine, mit der ich ihn töten könnte, ohne daß er schreit«, sagte Melitta trocken. »Und du bekämst es dann mit seinen Männern zu tun, und sie wären schlimmer.« Sie sah Allira zusammenzucken und erkannte, daß Allira diesen Ausweg bereits erwogen und verworfen hatte.
»Der Geheimgang durch die alte Klippenstadt - haben Brynats Männer ihn entdeckt?«
»Nein - Melitta, du kannst diesen Weg nicht nehmen! Du wirst dich in den Höhlen verirren, du wirst in den Bergen umkommen, falls du hinausfindest - und wohin wolltest du gehen?«
»Nach Carthon«, erwiderte Melitta kurz, »wo das auch sein mag. Du weißt es wohl nicht?«
»Ich weiß nur, daß es eine Stadt jenseits der Pässe ist, die in der Zeit der Sieben Domänen groß war. Melitta, willst du das wirklich wagen?«
»Ich habe die Wahl, es zu wagen oder hier zu sterben«, stellte Melitta ohne Umschweife fest. »Du scheinst imstande zu sein, das hier auszuhalten, obwohl… «
»Ich will nicht sterben!«
Allira schluchzte beinahe, und Melitta brachte sie grob zum Schweigen. Es war nicht Alliras Schuld, daß sie so furchtsam war. Vielleicht war sogar ein Schutz, wie Brynat ihn zu geben vermochte, besser als ein verzweifelter Treck durch unbekannte Klippen, Pässe und Berge. Vielleicht sollte ich ebenso sein , dachte Melitta, vielleicht ist das für eine Frau die richtige Einstellung. Ich glaube, mit mir stimmt etwas nicht - und darüber bin ich froh. Ich möchte lieber sterben bei dem Versuch, Storn zu helfen .
Der kurze Augenblick der Kritik an ihrer Schwester war vorbei. Schließlich war Allira schon das Schlimmste zugestoßen, das ihr in ihren eigenen Augen widerfahren konnte; was hatte sie noch zu fürchten? Wenn sie jetzt entfloh, warf sie nur das Leben weg, das sie um einen solchen Preis gerettet hatte.
»Dann mußt du vor Sonnenaufgang gehen«, meinte Allira, plötzlich entschlossen. »Schnell, solange Brynat
Weitere Kostenlose Bücher