Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
meine kleine Schwester zu beruhigen.
Ich atmete erleichtert auf, als wir aus der Tunnelöffnung ins Sonnenlicht traten. Gerade als wir das sanft ansteigende Flussufer hinaufgeklettert waren, rollte der Bus im Rückwärtsgang an uns vorbei. Der Fahrer wich unseren Blicken aus, wendete auf der Straße und brauste in Richtung Stadtzentrum davon.
Wir befanden uns in einem verlassenen Industriegebiet. Verfallene Lagerhallen ... überragt von rostbraunen Schornsteinen, aus denen schon seit Jahren kein Rauch mehr aufgestiegen war.
Ich öffnete den Briefumschlag. Christine sah mir über die Schulter. Der Umschlag enthielt ... eine Tarotkarte! Ich erkannte sie schon an dem filigranen Muster der Rückseite ... wagte nicht, sie umzudrehen.
Mit einem Mal wurde mir ganz leicht. Karte und Umschlag entglitten meinen Fingern. Ich taumelte, und hätte mich Christine nicht aufgefangen, wäre ich gestürzt. Sie ließ mich sanft zu Boden sinken.
»Es geht schon wieder«, ächzte ich. »War nur ein Schwächeanfall.«
Ich verschwieg ihr, dass mich die Tarot-Karte so entsetzt hatte. Sie wusste nicht, dass die Karte mit dem Motiv des Gehängten eine Warnung für Fehlverhalten war. Zumeist folgte wenig später die ultimative Bestrafung ... Wahnsinn oder sogar der Tod.
Ich wusste, wer dafür verantwortlich war. Er, den sie hinter vorgehaltener Hand den bleichen Mann nannten.
Erst gestern hatte ich seine unmittelbare Nähe gespürt. War in meinem Büro nur durch wenige Zentimeter Wand von ihm getrennt gewesen.
Christine hob die Tarot-Karte auf und betrachtete sie. »Es ist die Herrscherin.«
»Die Herrscherin?«, fragte ich erstaunt.
»Ja, ich kenne mich mit Tarot aus.« Sie reichte mir die Karte, und ich betrachtete irritiert das Bild einer amazonenhaften Frau mit wallenden Haaren und Krone.
»Christine, ... was bedeutet dieses Symbol?«
»Die zentralen Elemente der Herrscherin sind Schönheit und Sinnlichkeit. Sie geht sehr verantwortungsbewusst an ihre Aufgaben und erfüllt sie vorbildlich, aber immer mit dem Ziel, für etwas Schönes, Schöpferisches zu sorgen. Der Herrscherin gelingen auch im grauen Alltag helle Momente.« Christine runzelte die Stirn, und für einen Augenblick sah sie für mich wieder wie das kleine Mädchen aus, das ich schon immer vor allen Schlechtigkeiten der Welt beschützen wollte.
»Wer immer die Karte geschickt hat, er muss dich sehr gut kennen. Die Karte passt zu dir«, stellte Christine fest.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. In meiner Jacke erklang Gershwins Melodie von ›The man I love‹. Das Handy-Display zeigte eine unbekannte Nummer an.
»Geh nicht dran«, flehte Christine. »Wenn es unsere Verfolger sind ...«
»Das spielt schon keine Rolle mehr«, erwiderte ich.
Ich erkannte die Frau am anderen Ende der Leitung sofort, obwohl ich ihr erst einmal begegnet war.
»Hör zu, Kleines! Was deiner Schwester widerfahren ist, tut mir leid«, hörte ich Madame Rose sagen.
»Woher haben Sie meine Nummer?«
Die alte Frau zögerte kurz. »Ich habe dir dein Portemonnaie geklaut. Nimm’s nicht persönlich! Reine Routine. Aber es geht um etwas viel Wichtigeres: Ich habe nachgedacht, ... ich möchte euch helfen.«
»Ich glaube nicht, dass Sie dazu in der Lage sind.«
»Oh doch!« Die alte Frau senkte verschwörerisch die Stimme. »Die Babys ... ich weiß, wo sie hingebracht werden.«
Mir stockte der Atem. Sie musste uns in ihrer Wohnung belauscht haben.
Ehe ich etwas erwidern konnte, sagte Madame Rose: »Ich habe einiges gut zu machen. Wenn du mir verrätst, wo ihr steckt, hole ich euch ab. Bei mir kann euch nichts geschehen, Melinda.«
Ich war mir nicht sicher, ob ich richtig handelte. Aber welche Wahl hatten wir schon noch?
Christine war sofort einverstanden gewesen. Sie teilte mir mit, dass sie sich auch mit dem Teufel einlassen würde, wenn es nur die geringste Chance auf ein Wiedersehen mit ihrem Sohn gab.
20 Minuten später tauchte Madame Rose in ihrem Auto auf. Einem uralten amerikanischen Kombi, in dessen verblichene Karosserie der Rost handtellergroße Löcher gefressen hatte.
»Steigt ein!«, rief sie durch die geöffnete Seitenscheibe.
Christine schwang sich auf den Beifahrersitz.
Madame Rose warf mir meine Brieftasche zu. »Tut mir leid, aber du machtest auf mich den Eindruck, als würde dir der Verlust nicht besonders wehtun.«
»Wo ist mein Baby?«, drängte Christine.
Die alte Frau antwortete nicht und legte den ersten Gang ein. Mahlende Geräusche drangen aus dem
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