Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Kliniken verbracht werden sollten, sei es zu einer unerklärlichen Geisteskrise unter den Insassen gekommen. Infolge dieses Zustands hätten alle 49 Patienten kollektiv Selbstmord begangen, bevor die Pfleger eingreifen konnten. Eine eingesetzte Untersuchungskommission kam später zu dem Schluss, dass Anstaltsdirektor Leland Horace von jeder Schuld an den Ereignissen freizusprechen sei. Trotz dieses Freispruchs zog sich Dr. Horace vollständig aus seinem Beruf zurück und trat nie wieder öffentlich in Erscheinung. Das ›Abidias Asylum‹ wurde nach der Schließung keiner weiteren Nutzung zugeführt und blieb über Jahrzehnte dem allmählichen Verfall überlassen. Anfang der 60er hatte man das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Aufgrund seiner Baufälligkeit wurde es zunächst aber nur weiträumig abgesperrt, bis die Gelder für eine vollständige Restaurierung zur Verfügung standen. Dieser Zeitpunkt war jedoch nie eingetreten, und so wirft die Anstalt bis heute als finsteres Mahnmal der Vergangenheit seine Schatten über den Norden der Stadt. Verlassen und abgegrenzt wie eh und je.
Zögernd klappte ich mein Adressheft auf. Scott Harrisons Eltern wohnten ebenfalls im Nordbezirk. Wäre es möglich, dass ihr Sohn zusammen mit seinem Freund Toby das leerstehende Gebäude als geheimen Ort zum Spielen genutzt hatte? Und waren sie dort vielleicht auf irgendetwas gestoßen? Etwas Verbotenes?
Auch wenn es nur eine äußerst schwache Spur war, musste ich ihr doch nachgehen. Da es schon weit nach Mitternacht war, machte ich mich allein auf den Weg in den Norden der Stadt. Mir erschienen die Erfolgsaussichten dieses Vorhabens zu ungewiss, um Parker oder Barrett zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett zu klingeln. Bereits nach einer knappen Viertelstunde war ich am Ziel. Die Neal Street war um diese Uhrzeit wie ausgestorben. Nur ein einzelner Obdachloser schlief zusammengerollt in einem Hauseingang. Auch tagsüber dürfte hier kaum etwas losgewesen sein. Die düsteren Wohnblocks sahen größtenteils unbewohnt und heruntergekommen aus. Ein unrühmlicher Schandfleck im ansonsten so gepflegt eleganten Stadtbild von Porterville. Ich parkte kurz nach der Abzweigung zur Carroll Street und ging die letzten Meter zu Fuß. Wenig später stand ich vor dem massiven, gut drei Meter hohen Sicherheitszaun, der das gesamte Gelände der ehemaligen Nervenklinik umschloss.
Ein rostiges Schild verkündete unmissverständlich: ›Einsturzgefahr – Betreten verboten‹.
Doch es gab für mich kein Zurück. Nachdem ich zweimal tief durchgeatmet hatte, machte ich mich ans Werk. Es bedurfte einiger Anstrengungen, ehe ich den richtigen Halt fand. Doch schließlich war es geschafft, und ich schwang mich auf die andere Seite. Bei einem Blick zurück fiel mir unterhalb des Zauns eine kleine Kuhle auf, die vermutlich ein Hund gegraben hatte. Zu schmal für einen Erwachsenen, aber für ein Kind …
Das weitläufige Klinikareal war dicht mit Bäumen bewachsen. Hoch über mir raschelte und wisperte es in den Ästen. Das ohnehin nur schwache Licht der dünnen Mondsichel wurde augenblicklich vom tintenschwarzen Blätterdach verschluckt. Ohne meine Taschenlampe hätte ich die eigene Hand nicht vor Augen gesehen. Der Rasen war kniehoch und wogte in einem lautlosen Windzug wie die Oberfläche eines tiefgrünen Sees. Beinahe wäre ich der Länge nach gestürzt, als ich über das abgebrochene Standbein eines alten Betonmischers stolperte. Er musste vor Urzeiten hier zurückgelassen worden sein und lag in einiger Entfernung umgestürzt auf der Seite. Die moosbewachsene Trommel erinnerte mich an den Kopf eines Zyklopen, der aus einem riesigen toten Auge zur Klinik hinüberstarrte. Auch glaubte ich, weiter hinten das Wrack eines Autos zu erkennen, doch dessen war ich mir nicht sicher. Den Lichtkegel meiner Taschenlampe sorgsam auf den Boden gerichtet, ging ich weiter. Obwohl es nicht kalt war, fröstelte ich und klappte den Kragen meiner Jacke hoch. Kurz darauf war ich am Ziel. Wie eine düstere Festung ragte das dreistöckige Hauptgebäude des ›Abidias Asylum‹ vor mir in den Nachthimmel. Die gesamte Westfassade war im Laufe der Jahrzehnte von wildem Efeu überwuchert worden und verstärkte den Eindruck archaischer Bedrohlichkeit. Zwar war das Portal verschlossen, doch nach kurzer Suche entdeckte ich an der Rückwand einen alten Schuppen. Über diesen konnte man die Fenster im ersten Stock erreichen – und tatsächlich: Eines davon ließ sich mit ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher