Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
uns überrascht anzublicken. Zögernd und voller Entsetzen trat ich näher. Die Felljacke des Jungen war unterhalb der rechten Schulter und auf der Brust versengt, so als habe jemand Keo-Lan mit einer brennenden Fackel vor sich hergetrieben. Bis in die Falle …
Noch mehr erschreckte mich jedoch ein kleines weißes Blatt, das in seiner Federkette steckte. Ich beugte mich hinunter und zog es heraus. Das Blatt war bemalt und zeigte ein aufrecht stehendes Gerippe, das eine riesige halbmondförmig gebogene Klinge in den Knochenhänden hielt.
Hastig suchte ich mit meinem Blick die umliegenden Baumreihen ab. Nur Keo-Lans Mörder konnte dieses Bild zurückgelassen haben! Der Erdboden rund um die Falle war zerfurcht und aufgewühlt, doch sonst waren keine weiteren Spuren zu entdecken. Vorsichtig untersuchten wir die gesamte Umgebung. Ein jeder von uns hatte von frühester Kindheit an das Fährtenlesen gelernt. Se-Temm war darin so gut, dass er selbst kleinsten Beutetieren nachstellen konnte. Doch so sehr er sich auch mühte, er fand nicht die geringste Spur des Fremden.
»Es ist, als wenn er gar nicht hier gewesen wäre, sondern nur seine tötende Hand«, sagte er fassungslos.
Der Namenlose aus den Wäldern.
Dies war also seine erste unmissverständliche Warnung an uns: »Kehrt um, oder ihr seid verloren.«
Doch es gab kein Zurück.
Wir schnitten Keo-Lan los und trugen ihn zurück zum Lager. Da der Boden zu stark gefroren war, begruben wir ihn unter Steinen, die wir zusammensammelten. Seine Federkette legte ich in eine Vertiefung in der Mitte. Von weit her vernahmen wir den einsamen Ruf eines Vogels.
Wir mussten weiter. Hia-Takee würde nicht auf uns warten.
Das Essen wurde immer knapper. Zudem schien es mit jedem Tag, der verstrich, kälter zu werden. Schon längst wusste niemand mehr, wo wir uns befanden. Der Wald wurde immer dichter. Ständig umgab uns eisige Dunkelheit, in die hinein sich auch bei Tage nur selten ein schwacher Lichtstrahl verirrte. Wir schienen uns nicht durch diesen Wald hindurchzubewegen, sondern immer tiefer in ihn hinein. Dies konnte nicht der gerade Weg sein, den Hia-Takees Spuren uns vorgaukelten! Es musste ein Irrpfad sein, auf dem wir nicht vorankamen, obwohl wir doch unentwegt liefen. Wir waren bald hier, bald dort, doch stets gefangen in der düsteren Unendlichkeit dieses Waldes. Ausgesetzte in einem Meer aus Bäumen.
Wo der alte Mann des Nachts blieb, wussten wir nicht. Vielleicht ruhte er wie wir auf einem Lager aus Ästen und Moos, jedoch sahen wir nie den Rauch eines Feuers aufsteigen.
Vielleicht wandelte er lautlos zwischen uns umher, um unsere Träume zu bewachen.
Vielleicht gab es des Nachts gar keinen alten Mann. Wie es auch sein mochte, schlug man morgens die Augen auf, so sah man ihn nie weiter als fünfzig Schritte entfernt zwischen den Bäumen stehen, stumm zum Aufbruch drängend.
So ging es weiter. Immer weiter.
In der folgenden Nacht verließen Wa-Teka und Ni-Leam, zwei der Jüngsten, heimlich das Lager, um auf eigene Faust den Rückweg anzutreten. Wir bemerkten es erst im Morgengrauen des nächsten Tages. Wie so oft lag ein dichter, schwerer Nebel über dem Wald. Noch nie jedoch war er so stark gewesen wie an jenem Morgen. Man konnte keine zehn Schritte weit sehen.
Unsicherheit in allen Gesichtern. Was sollten wir tun? Offenbar hatte nächtlicher Neuschnee die Spuren der Jungen verdeckt. Nirgendwo war eine Fährte zu entdecken. Aber hätte bei den dichten Baumkronen überhaupt so viel Schnee auf den Waldboden fallen können?
Plötzlich hörten wir die Stimmen der beiden. Sie riefen uns.
»Wo seid ihr? Nehmt uns mit!«
Sie mussten weit von uns entfernt sein. Ihre Rufe drangen nur sehr schwach zu uns und schienen in dem trügerischen Nebel mal aus dieser, mal aus jener Richtung zu kommen.
»Wir müssen sie suchen!«, rief Ni-Katea. »Bindet euch mit den Riemen eurer Lederbeutel an den Gürteln fest, damit wir uns nicht verlieren!«
Wir taten es. Einige von uns entzündeten Fackeln, die den immer dichter werdenden Nebel jedoch kaum zu durchdringen vermochten. Gemeinsam schritten wir vorsichtig in das weiße Nichts hinein, auf die Stimmen Wa-Tekas und Ni-Leams zu. Auch wir riefen sie. Alle zusammen und aus voller Kehle.
»Bleibt, wo ihr seid! Wir kommen zu euch!«
Doch nie antworteten sie uns. Sie schienen uns nicht zu hören. Stets nur riefen sie verzweifelt dasselbe:
»Geht nicht ohne uns! Nehmt uns mit!«
Noch lauter schrien wir, noch schneller
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