Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
sagte er:
»Aber sei es. Ich werde euch den Weg weisen.«
»Euch?« Ich verstand nicht.
»Du wirst nicht allein gehen. Freunde werden an deiner Seite sein. Doch bedenkt, dass euer Pfad voller Entbehrung und Gefahr sein wird. Der, den ich damals sah, wird in den Wäldern auf euch lauern.«
»Wer?«, fragte ich beunruhigt. »Wer ist es?«
Hia-Takee senkte den Kopf. »Er hat keinen Namen, ihn zu nennen, und keinen Ort, ihn zu finden. Seine Gestalt ist weiß wie der Schnee, und in seinen Augen wohnt der Tod.«
Das war alles, was er sagte. Ich wusste, dass er mir keine Fragen mehr beantworten würde. Nie wieder.
Als ich aus dem Zelt trat, standen vor mir alle Jungen des Dorfes. Ohne Ausnahme. Keiner fehlte.
Große und Kräftige waren unter ihnen, der lange Jutaka und der starke Ti-Kahonn, dessen Eltern niemand kannte. Als Kind hatte man ihn eines Morgens inmitten unseres Dorfes gefunden, ohne jeden Hinweis auf seine Herkunft oder jene, die ihn brachten. Man nannte ihn ›Sohn der Geister‹, denn er war eingehüllt in ein weißes Tuch, das über und über mit einer zotteligen grünen Schreckgestalt bemalt war. Jutakas Eltern nahmen ihn auf, und so wurde Ti-Kahonn einer von uns.
Unter den Jungen, die mich nun anblickten, waren jedoch auch Kleine und Schwache. Manche waren jünger als ich selbst, wie Ma-Tu oder der schmächtige Keo-Lan, der stets die Federkette seines verstorbenen Vaters um den Hals trug.
Keiner sprach. Es bedurfte keiner Worte. Ein jeder wusste, weshalb er hier war, und wohin die Reise gehen würde. Das Ziel blieb unausgesprochen, und doch spiegelte es sich in ihrer aller Augen.
Als ich mich umwandte, bemerkte ich, dass Hia-Takee sein Zelt verlassen hatte und bereits auf den Wald zuschritt. Er würde uns führen, aber er würde nicht auf uns warten. So brachen wir auf. Ohne ein Wort des Abschieds. Ohne einen Blick zurück.
Der Wald empfing uns mit klammen Armen.
Unsere Reise begann.
Auch jetzt sprach niemand ein Wort.
Nicht über Hia-Takee und nicht über den Weg, der vor uns lag. Schweigend folgten wir dem alten Mann. Viele Tage lang. Eines Nachmittags fanden wir die Spuren eines Hirsches. Se-Temm, der Sohn des Schamanen, entdeckte sie als Erster. Es waren mächtige Spuren. Tief hatten sie sich in den Schnee gedrückt.
Ti-Kahonn sagte, wir sollten den Hirsch jagen und töten. Ich war dagegen. Die Nahrung, die jeder bei sich trug, würde noch einige Tage vorhalten. Hia-Takee zu folgen, war wichtiger.
»Von getrockneten Wurzeln und Beeren allein kann man nicht leben!«, erwiderte Ti-Kahonn. »Besonders die Jüngeren brauchen Fleisch.«
Dabei sah er den kleinen Keo-Lan an, der schon sehr elend und abgemagert aussah.
»Seit wir aufgebrochen sind, ist der Alte stets in dieselbe Richtung gegangen. Lass ihn einen halben Tag vorausgehen und uns bis morgen Rast machen. Seine Spuren werden uns zu ihm zurückführen.«
So sprach Ti-Kahonn. Und er mochte recht haben. Einen halben Tag würden wir wieder aufholen.
So machten wir Rast, und Ti-Kahonn legte an günstiger Stelle ein Stück Boden frei, unter dem noch ein paar spärliche Halme zu finden waren. Er streute einige Körner hinzu und versah das Ganze mit einer geschickten Falle, die auch den stärksten Hirsch würde fällen können. Bald legten wir uns schlafen.
In dieser Nacht hatte ich einen seltsamen Traum.
Ich sah einen kleinen Vogel, der über einen tiefen blauen See flog. Mit einem Mal erfasste ihn ein Windstoß, und er stürzte ins Wasser. Hilflos mit den Flügeln schlagend, versuchte er, sich wieder in die Luft zu erheben, doch sein Gefieder war nass, und so schaffte er es nicht.
Da trieb eine große Seerose vorbei. Der Vogel rettete sich unter größten Mühen auf die schöne Pflanze und blieb erschöpft liegen. Plötzlich aber begann die Rose zu verdorren, ihre Blätter kräuselten sich, schlossen den kleinen Vogel ein, und zusammen versanken sie in der Tiefe des Sees.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, herrschte Unruhe im Lager. Keo-Lan war verschwunden, und niemand wusste, wohin er gegangen sein konnte. Fieberhaft begannen wir die Suche nach ihm, und nach kurzer Zeit erschallte ein grässlicher Schrei. Es war Ti-Kahonns Stimme. Wir rannten zu ihm. Zitternd kniete er im Schnee, das Gesicht in den Händen vergraben.
Zwischen den hohen Tannen vor ihm lag seine Falle. Doch nicht der Hirsch hing in der Schlinge, sondern der kleine Keo-Lan. Ausgestreckt wie ein erlegter Hase. Seine Augen waren weit aufgerissen. Sie schienen
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