Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
›einzigen Überlebenden‹. Einer kleinen Frau mit schwarzen Haaren, die immer wieder in den Erzählungen über Schiffsunglücke auftauchte wie ein Geist, wie ein Schatten, der die Schiffbrüchigen in den Rettungsbooten begleitete. Ich habe es später einmal nachgelesen, in einem dicken Wälzer über maritime Geschichte, und jedes Wort davon ist wahr.
Zum ersten Mal sah man die ›einzige Überlebende‹, nachdem die ›General Grant‹ am 14. Mai 1866 bei einem Sturm vor den Oakland-Inseln in eine Höhle an der Steilküste gedrückt wurde. Der Mast des Schiffes stieß an die Höhlendecke und wurde durch den Druck in den Boden des Schiffes gerammt. Die ›General Grant‹ lief voller Wasser. In Panik sprangen die Menschen in die eiskalten Fluten. Nur eine kleine Gruppe rettete sich in ein Ruderboot. Von 83 Passagieren und Besatzung überlebten den Untergang der ›General Grant‹ nur 15 Menschen. Darunter eine einzige Frau: Mary Ann Jewell, klein mit schwarzem Haar.
Am 14. August 1888 kollidierte die ›Geiser‹ bei Nebel mit dem Passagierschiff ›Thingvilla‹. 118 Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. 31 überlebten. 30 Männer und eine Frau. Die 28-jährige Hilda Lind, die von Augenzeugen als sehr kleine Frau mit schwarzem Haar beschrieben wurde.
Rund 20 Jahre später stieß die ›Penguine‹ vor Wellington bei Cape Terawhiti gegen einen Unterwasserfelsen, und von 102 Menschen überlebten den Untergang des Schiffes gerade mal 30. 29 Männer und eine einzige Frau. Ada Hannam aus Picton. Klein, mit schwarzem Haar.
Es schien, als hätte sich nach jeder Rettung eine Amnesie über die Männer gelegt, niemand konnte mehr über die drei geretteten Frauen sagen, als dass sie klein waren. Klein mit schwarzem Haar. Doch bereits kurz nach den Vorfällen verschwanden diese Frauen aus dem Blickfeld der Überlebenden und der Behörden, die die Unfälle untersuchten und wurden nie mehr gesehen. Drei Frauen. Oder nur eine? Immer dieselbe?
Ich spürte noch immer den Schauer, der über meinen Nacken lief, als mich damals, als Zehnjähriger am Hafen von Porterville, der Gedanke durchzuckte, es könne immer wieder dieselbe Frau sein, die diese Schiffbrüche überlebte. Die immer wiederkehrte und mit diesen Unglücksschiffen fuhr, obwohl sie wusste, dass sie untergehen würden. Vielleicht sogar weil sie untergehen würden? Vielleicht war diese Frau für den Untergang der Schiffe verantwortlich? War sie es?
Mein Großvater hatte mich ganz bewusst diesen Schluss selber ziehen lassen, und ich ging ihm bereitwillig auf den Leim. Sehe noch sein breites, von den Jahren auf See zerfurchtes Gesicht vor mir, das gütig und gleichzeitig geheimnisvoll lächelt und auf meine Frage antwortet: »Ich weiß es nicht, Junge. Kann sein. Ich weiß nur eines: Ich würde mich schnellstens aus dem Staub machen, wenn eine kleine, schwarzhaarige Frau mein Schiff betritt.«
Und dann lachte er, kehlig und laut, und ließ ein weiteres Papierschiff ins Wasser gleiten.
»Erheben Sie sich!«
Ich merkte erst auf, als mich mein Pflichtverteidiger vom Stuhl nach oben zog. Richter Maddocks donnernde Stimme erfüllte den Saal.
»Charles Preston, das Gericht von Porterville befindet Sie schuldig im Sinne der Anklage. Sie werden zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Darüber hinaus haben Sie 40 Sozialstunden abzuleisten, Näheres wird Ihnen Ihr Bewährungshelfer mitteilen. Ich will sehr hoffen, junger Mann, dass ich Sie nie wieder in meinem Gerichtssaal sehen muss!«
Ich war wie in Trance. Der Verteidiger schüttelte mir die Hand. Der Richter gab mir einen strengen Blick und die kleine Stenotypistin wandte sich mir für einen kurzen Moment zu. Unter dem dunklen Pagenkopf erschien ein Lächeln. Ein wissendes Lächeln, oder bildete ich mir das nur ein? Die zentnerschwere Last, die von meinen Schultern fiel, ließ mich vor Erleichterung wieder auf den harten Holzstuhl sinken, auf dem ich die letzte Stunde verbracht hatte. Bewährung, hatte er gesagt. Ich musste nicht in den Knast. Ich war frei.
»Dieses Baby hier ist unser bestes Pferd im Stall. Dein bestes Pferd, Charles Preston, und ich will hoffen, dass du schnell darauf reiten lernst!«
Beau Broderrick tätschelte den voluminösen Kühlschrank, der vor mir stand und grinste sein schönstes 100-Dollar-Lächeln. Beau war um die 40, hatte die Haare zurück gegelt, trug einen aufdringlichen Herrenduft zu einem billigen Anzug und war alles in allem ein wenig schmierig.
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