Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
machte seine Stimme so schwach, dass sie hinter den Mauern dieses Zimmers niemals zu hören gewesen wäre.
Doch Leigh war nicht mit Sterben beschäftigt, sondern starrte Lucan mit unverhohlenem Hass an.
Lucan versuchte, auf das sprudelnde Geräusch von Berninis Barcaccia-Brunnen unten auf der Piazza zu lauschen. Oft hatte es Kindermädchen gespielt und Leigh während der trostlosen Wintermonate in den Schlaf gelullt, als er noch gesund genug gewesen war, um sich darüber zu beklagen, wie ungerecht das alles war. Jetzt war es zu einem Symbol für all das geworden, was Leigh nicht mehr erleben würde. Er würde nie wieder auf der Marmorbank sitzen und die Kaskaden bewundern, die aus dem für immer sinkenden Boot liefen, oder Sonette über die kristallene Reinheit ihres Falls verfassen. Er würde seine Hand nicht mehr in das glitzernde Becken tauchen und Wasser an seine Lippen heben und so viel trinken, wie er wollte.
Und er würde Lucan nie mehr verspotten, weil er das nicht konnte.
»Ihr werdet sie niemals bekommen«, sagte ihm die belegte, dünne Stimme vom Bett aus. »Nicht einmal, wenn ich im Himmel bin.«
»Bist du dir da sicher?«, meinte Lucan, während er sich erhob und zum Bett ging. »Dass du von hier in den Himmel kommst?«
Leigh lächelte und zeigte blutverschmierte Zähne. »Ich habe Schönheit geschaffen. Wundervolle Poesie, die ewig leben wird. Was habt Ihr der Welt geschenkt, mein Lord der Dunkelheit, außer Schmerz und Tod?«
Lucan wusste, dass Leigh wegen der extremen Gegensätzlichkeit ihrer Situationen verbittert war, doch er konnte das so nicht stehen lassen. »Ich habe dir Freiheiten gewährt. Ich habe dir geholfen, deine poetische Ader auszuleben, wo ich Unterwerfung und Dienstbarkeit hätte verlangen können. Ich habe dir und deiner Familie niemals irgendetwas angetan.«
»Warum solltet Ihr auch? Ihr habt mich beneidet. Ihr wolltet mein Talent, meine Familie und meine Geliebte.« Er hielt inne, hob mit schwacher Hand ein beflecktes Taschentuch an seinen feuchten Mund und hustete heftig. »Ich glaube, Ihr beneidet mich sogar um dieses jämmerliche Ende, das ich haben werde.«
Das traf ihn hart und war schlimmer als alles, was Leigh ihm bisher vorgeworfen hatte. »Ich könnte es beschleunigen.«
»Oh ja, tut das.« Der feuchte rote Stoffklumpen gab blutige Lippen frei. »Das ist alles, was Ihr könnt, nicht wahr? Euch nehmen, was nicht Euch gehört, und es zerstören.«
Lucan konnte seinen Tresora nicht erwürgen; Frances würde jeden Moment kommen. Er konnte nicht antworten, denn Leigh hatte die Wahrheit gesagt. Er stand ohnmächtig da und konnte nicht mehr tun, als zuzusehen, wie der sterbende Mann wieder in einen Dämmerzustand glitt.
Eine stinkende Wolke aus vertrocknetem Blut, Auswurf und Schweiß stieg aus den Bettlaken um Leighs schlaffen Körper auf. Nicht einmal der Gestank störte Lucan noch, nicht, nachdem er ihn in den endlosen Monaten eingeatmet hatte, in denen sie Leighs Bruder in Hampstead pflegen mussten, der an der gleichen Krankheit gestorben war. Der Gestank konnte Lucan nichts anhaben oder einen seiner Sinne trüben, aber das Gift lag in der Luft – und konnte Frances vergiften, die noch ein Mensch war und sich vielleicht anstecken würde.
Manchmal dachte Lucan, dass sie nach Rom gekommen war, um genau das zu tun. Dann konnte sie mit Leigh im Grab liegen, weil sie mit Lucan niemals sein ewiges Leben teilen würde.
Unfähig, noch einen Moment länger den sterbenden Mann anzusehen, ging Lucan zum Fenster, um die Läden zu öffnen. Um das Sonnenlicht seine Augen reizen zu lassen. Mit etwas Glück würde er erblinden und musste nie wieder Leigh oder Frances sehen.
Das Licht schwand. Sie würden mehr Kerzen brauchen, denn es stand nur noch eine einzige halbe Talgkerze auf dem Sekretär neben Leighs Bett. Es war die letzte; Teil einer genialen Vorrichtung mit mehreren Kerzen, die Frances mithilfe eines Baumwollfadens miteinander verbunden hatte; wenn eine herunterbrannte, zog der Faden die Flamme zur nächsten. Diese Idee war ihr gekommen, nachdem Leigh sie angefleht hatte, ihn niemals in der Dunkelheit allein zu lassen.
Die Tür öffnete sich, und eine große, anmutige Engländerin kam herein. Auf ihr Kleid waren sorgfältig Spitzen und Bänder aufgenäht worden, um die fadenscheinigen Stellen zu überdecken; ihr hellbraunes Haar war zu einem einfachen, doch eleganten Knoten aufgesteckt. Auf dem Arm trug sie ein kleines, in braunes Papier eingeschlagenes Paket, das
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