Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
Störfall im Kernkraftwerk seinen Vater verliert. Also sehen wir uns nächstes Jahr das fünfte Mal in Folge im Gemeindezentrum von Bulgravia wieder.
29. Mai, Sonntag
Ach du Schande, morgen ist Buchclub, und ich habe kaum was gelesen. Stephen und ich müssen dringend ein paar von den Stellungen ausprobieren. Anfangen würde ich gern mit »Der eingeschlagene Nagel« …
30. Mai, Montag
Buchclub. Schön, dass die anderen diesen Monat mehr Begeisterung an den Tag legten. Alle hatten sich Bücher gekauft, und die sahen auch ganz zerlesen aus. Mir fiel allerdings auf, dass sich ihre Exemplare von meinem unterschieden. Das ging schon damit los, dass der Titel jedes Mal anders buchstabiert wurde, und die Titelbilder waren viel … na ja, schillernder. Und wie sich dannherausstellte, beschränkten sich die Unterschiede nicht auf die Cover. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie alle zu diesen volkstümlichen Neuausgaben mit unzweideutigen Ausdrücken und Illustrationen gegriffen haben. Typisch! Als ich merkte, was diesen Unschuldsengeln da passiert war, habe ich sie natürlich sofort eines Besseren belehrt und ihre Exemplare konfisziert. Ich weiß wirklich nicht, wie sie ohne mich zurechtkommen würden.
31. Mai, Dienstag
Ich koch’ mir einen Tee, leg’ die Beine hoch und genieße einen schönen ruhigen Abend mit
Ich bin ein Barbar. Wer hält so was aus?
Ich bin langsam zu alt, um jeden Abend aufs Neue hinter den Kindern herzurennen. Soll die Polizei das doch erledigen. Die hat schließlich auch die Elektroschockpistolen dafür.
Juni
1. Juni, Mittwoch
Stephen wollte es heute Abend bei Licht machen, aber ich habe es lieber dunkel, also haben wir einen Kompromiss geschlossen. Ich habe das Licht ausgeschaltet, und er hat seine Nachtsichtbrille aufgesetzt.
2. Juni, Donnerstag
Heute war der neue Titel für den Buchclub dieses Monats in der Post. Diesmal hat Mrs. Norton gewählt –
Der Tod macht mobil.
Eine Mordgeschichte, wie nicht anders zu erwarten. Diese Frau ist vom Makabren geradezu besessen. Sie hatte sogar mal eine Brieffreundschaft mit einem texanischen Häftling. Ihre täglichen Briefe, Gedichte, Kurzgeschichten und Sudoku-Rätsel seien dem Herrn ein großer Trost gewesen, sagt sie. Bis zu dem Tag, an dem er auf dem elektrischen Stuhl Platz nahm. Jammerschade, denn zwei Wochen später wäre er entlassen worden, aber wegen seiner besonderen Situation billigte der Gouverneur des Bundesstaats ihm mildernde Umstände zu.
3. Juni, Freitag
Stephen ist heute Abend zum Cage Fighting gegangen. Ich finde das ja geschmacklos, aber er behauptet, den Hamstern gefällt es.
4. Juni, Samstag
Habe heute Morgen das erste Kapitel von
Der Tod macht mobil
gelesen. Der Roman ist, wie erwartet, nicht so der Bringer. Ein Buch mit einem solchen Titel verheißt nichts Gutes. Und die Autorin ist so unverfroren, dass sie schon im ersten Kapitel einen Satz mit
Und
anfängt. Ein Grammatikkurs hätte ihr eindeutig gutgetan – ein Wörterbuch übrigens auch. Echt jetzt, die Frau könnte einen Creative-Writing-Kurs brauchen (ich würde ja meinen eigenen empfehlen, aber leider wird der Dozent immer noch von dieser Eisenmaske behindert). Ich habe beileibe noch nicht gesehen, dass in einem ersten Kapitel so viele Figuren eingeführt werden. Gott sei Dank waren zwölf davon am Anfang des zweiten Kapitels schon tot, sonst hätte ich damit nie im Leben Schritt halten können. Der Mörder steht natürlich schon nach gut zwanzig Seiten einwandfrei fest, aber ich hatte auch schon immer einen sehr analytischen Verstand. Das kommt davon, wenn man mit Stephen zusammenlebt. In ihm lese ich auch wie in einem offenen Buch – einem von diesen großen Aufklappbüchern.
5. Juni, Sonntag
Heute Vormittag war ich mit den Kindern im Park unseres Viertels. Der hat alles, was dazugehört – Ententeich, Spielplatz und Einwegspritzenautomaten. Er rühmt sich auch der »einzigartigen Erfahrungen in Wälderwelten«, wobei es in Wahrheit bloß um Mr. Jenkins aus Nr. 14 geht, der sich hinter einer Hecke versteckt. Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne schien, und die Vögel zwitscherten. Nehm’ ich jedenfalls an – wegen des Polizeihubschraubers und der Lautsprecher war das schwer zu hören. Der arme Mr. Kowalski. So ein netter alter Mann. Hat an den Olympischen Spielen teilgenommen, hab’ ich mir sagen lassen. Und da war er nun, einsam und verwirrt, stand am Rand des Sandkastens und drohte zu springen.
6. Juni,
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