Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
Taverne vor mir – ein einladendes weißes Gebäude, an dessen kleinem gewölbtem Eingang exotische Pflanzen emporrankten und aus dem die charakteristische Duftmischung aus Zigarren, Aftershave und Spirituosen drang.
Zaghaft stieß ich die Schwingtür auf. Stimmengewirr und Insektensurren erstarben, als meine Schuhe über die Keramikfliesen zum einzigen freien Tisch in dem kleinen, halbdunklen Raum tappten. Als sichmeine Augen langsam an das Zwielicht der an den Wänden flackernden Kerzen gewöhnten, baute sich eine Gestalt über mir auf und tauchte den Tisch in Schatten.
»Was trinken?«, ertönte eine raue Stimme.
Ich sah hoch und konnte ein dunkles Gesicht mit Schnurrbart ausmachen.
»Ähm, ja«, erwiderte ich, und meine Augen huschten zum Nachbartisch. »Ich … ähm … hätte gern auch so einen, bitte.«
»Sehr wohl, Madam«, grinste der Barkeeper. »Oder eher … Miss?«
»Madam«, versetzte ich knapp.
»Natürlich.« Er verbeugte sich. »Schade.«
Ich warf einen Blick auf die drei Frauen am Nebentisch. Sie hatten ihr Gespräch wiederaufgenommen, steckten die Köpfe zusammen, und irgendetwas war offenbar zum Totlachen, denn die malvenfarbene Flüssigkeit aus ihren Gläsern spritzte ihnen immer wieder aus den Nasen. Trotz ihrer lokalen Trachten kam mir etwas an ihnen bekannt vor, aber ich kam nicht darauf, was es war.
»Ihr Drink.«
Der Barkeeper stellte mir ein Gläschen hin. Ich griff nach meinem Portemonnaie, aber er hielt meine Hand fest.
»Nicht nötig.« Er lächelte, und seine Schnurrbartenden hoben sich. »Geht auf Wohnstätte.«
»Aufs Haus«, korrigierte ich und zog die Hand weg.
»Gewiss.« Er grinste entschuldigend und entfernte sich vom Tisch. »Natürlich. Aufs Haus.«
Ich sah mich in der Taverne um. Sie war ordentlichund sauber, hätte aber vom Einfluss einer Frau profitiert. Tischtücher, Spitzendeckchen, eine Teekanne …
Die drei Frauen am Nebentisch waren leiser geworden. Eine deutlich hochmütigere Frau mit einem einfach lächerlichen Hut hatte sich zu ihnen gesellt und erzählte, wenn ich das richtig mitbekam, eine langatmige Geschichte von ihrem nichtsnutzigen Gatten. Das Trio war offenbar wenig beeindruckt, ja es machte sich sogar über die Sprecherin lustig, als die ihm den Rücken wandte und einen Drink bestellte. Es erstaunt mich wahrlich immer wieder, wie begriffsstutzig die Menschen sein können.
Ich konzentrierte mich auf meinen Drink. Er vereinte die Färbung der ersten Morgendämmerung mit der Konsistenz von Hustensirup. Ich führte das Glas an die Lippen. Plötzlich fiel mir auf, dass im Raum wieder Totenstille herrschte. Als ich aufschaute, merkte ich, dass alle mich erwartungsvoll ansahen. Ich warf ihnen ein zuversichtliches Lächeln zu. Die sollten mich bloß nicht für eine schwache, lasche Ausländerin halten, die ihrem Fusel nicht gewachsen war …
Die Hitze hatte mir wohl mehr zu schaffen gemacht, als ich gedacht hatte, denn ich musste kurz eingedöst sein. Als ich mich umsah, war die Taverne leer bis auf den Barkeeper, der sich mit Eimer und Wischmopp zu schaffen machte. »Sie sind wach«, sagte er, ohne innezuhalten. Ich schob meinen Hut zurecht und sah auf die Uhr. Auch ihr musste die Hitze zu schaffen gemacht haben, denn die Zahlen waren alle ganz verschwommen. Plötzlich schoss ich hoch.
»Meine Fähre!«, rief ich. »Hab’ ich die verpasst?«
»Was Zeit von Fähre?«, erkundigte sich der Barkeeper.
»Fünf Uhr.«
Er lehnte den Wischmopp an die Bar, zog eine kleine Taschenuhr aus der Hose und musterte sie eingehend.
»In dem Fall, ja, Sie verpasse Fähre.«
»Wie spät ist es?«
»Elf zweiunddreißig.«
Ich konnte es nicht fassen und starrte ihn vorwurfsvoll an. »Haben Sie mir etwas in den Drink getan?«
Er runzelte die Stirn. »Was Sie meine, etwas in den Drink getan?«
»Von Männern wie Ihnen hab’ ich schon gehört«, stieg ich ihm aufs Dach. »Die arme, nichtsahnende Urlauberinnen ausnehmen. Die uns in ihren Harem stecken, wo wir ihnen im Rotationsprinzip zu Willen sein müssen. Ich hol’ die Polizei! Ich melde Sie der britischen Botschaft! Ich rufe bei Jeremy Kyle an! Also rücken Sie schon damit heraus, mein Herr! Haben Sie meinen Drink versetzt?«
Der Barkeeper starrte mich an, und Entsetzen schimmerte in seinen Augen auf.
»Wie Sie könne das wage?«, sagte er. »In meine ganze Leben ich nicht so beleidigt worde. Nicht mal von meine Exfrau. Ihren Drink versetze?« Stolz schob er das markante Kinn vor. »Ich würde nie so
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