Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
nächsten Donnerstag rausgerissen und durch Unisextoiletten ersetzt werden, und als Stephen das gehört hat, ist er endgültig ausgeklinkt.Ich habe natürlich alles getan, was eine gute Ehefrau tun muss. Ich habe gesagt, er soll sich nicht so anstellen, und bin nach Hause gegangen.
5. Oktober, Mittwoch
Na bitte, wer sagt’s denn? Endlich kommt dieser Lyrikkurs in Schwung. Miss Wordsmith muss eingesehen haben, dass der Rest der Gruppe eine echte Dichterin wie mich nur davon abhält, am Musenbusen zu schmusen. Das Thema der heutigen Sitzung war existentielle Lyrik. Eine willkommene Gelegenheit, diesem ganzen lyrischen Geschmeiß zu zeigen, worum es in echter Dichtkunst geht. Und gleichzeitig die tiefsten und finstersten Nischen meiner Seele zu erforschen.
Die anderen hatten natürlich nichts zu melden. Dürfte interessant werden, nächste Woche ihre Fingerübungen zu hören. Während ich mich nur an Miss Wordsmiths Rat halten und »in den seelenlosen Abgrund hinabgreifen und an die Sinnlosigkeit und Verzweiflung der menschlichen Existenz rühren« muss. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich sofort an die Arbeit mache, sobald ich Stephen auf dem Klo vom Pub besucht, den Kindern Essen gekocht und mir bei einer Scheibe Battenbergkuchen
Diagnose: Natürliche Todesursachen
angesehen habe. Sie sagte, ganz genau darum gehe es. Ich wusste doch, dass ich ein Naturtalent bin.
6. Oktober, Donnerstag
D-Day. Vielleicht auch Bidet, wenn sich die Brauerei durchsetzen kann. Die Zerstörung der Toiletten im Red Lion beginnt um zwölf, ich darf also nicht trödeln … Ich geh’ jetzt rüber; vielleicht ist Stephen ja zur Vernunft gekommen.
Gute Güte, Tagebuch, welch ein traumatisierender Tag! Ich kam gerade noch rechtzeitig (musste noch Sachen aus der chemischen Reinigung abholen, und der Kaffeeklatsch bei Mrs. Norton zieht sich halt immer ewig hin). Stephen sah furchtbar aus. Müde, abgehärmt und halb verhungert.
Auf der anderen Seite der Toilettenmauer hörte ich das tiefe Grummeln einer Planierraupe. Ohne groß nachzudenken, zog ich ein Schlüsselchen aus dem Hutband. Vom Biermangel entkräftet, leistete Stephen praktisch keinen Widerstand, als ich eine Handschelle löste. Ich holte tief Luft, denn das Grummeln kam näher, aber es war zu spät. Ich hatte es schon getan! Stephen lächelte mich müde an, und ich erwiderte sein Lächeln. Wenn er gehen musste, würde ich mitgehen. Ich hatte mir die Handschelle ums Handgelenk gelegt und ließ sie einschnappen. Als ich vor der Keramik kniete, wappnete ich mich …
Plötzlich ertönte ein lautes Rauschen, und mein ganzes Leben strömte an mir vorbei …
7. Oktober, Freitag
Tut mir leid, Tagebuch. Ich zitterte gestern Abend so sehr, dass ich nach den traumatischen Ereignissen im Red Lion nicht weiterschreiben konnte. Stephen und ich waren nur noch Zentimeter vom Tode entfernt, als die automatische Spülung der Pissoirs uns reichlich wässerte. Die kalte Dusche brachte mich zum Glück zur Besinnung, und in null Komma nichts hatte ich die Handschellen gelöst und Stephen in die Sicherheit einer Kabine geschleift. Kaum hatte ich den Riegel auf »Besetzt« umgelegt, hörten wir Stahl, Ziegeln und Keramik donnernd zusammenkrachen, und die Pissoirs waren Geschichte.
8. Oktober, Samstag
Erstes samstägliches Ausschlafen mit Stephen seit Ewigkeiten. Leider weil TakeU4Aride Cabs beschlossen haben, fürderhin auf seine Dienste zu verzichten. Sie führten eine Reihe von Gründen an – schlechte Kundenbeziehungen, mangelnder Orientierungssinn, vollständige Missachtung der Straßenverkehrsordnung und dreimaliges Nichterscheinen am Arbeitsplatz infolge des Ankettens an eine öffentliche Toilette. Zum Glück kann Stephen ja jederzeit auf alternative Erwerbsmöglichkeiten zurückgreifen. Ich hol’ ihm schon mal Leiter und Eimer …
9. Oktober, Sonntag
Haben die Kinder heute Nachmittag mit einem Besuch der Schneekugel überrascht. Sie verfolgen es wahnsinnig gern, wenn sie umgedreht wird und all die hübschen Schneeflocken auf die Tower Bridge aus Plastik herabschweben.
10. Oktober, Montag
Die Kinder sind in der Schule, und Stephen ist auf seine Fensterputztour gegangen, also habe ich endlich Ruhe und Frieden, um mein Gedicht für den Kurs am Mittwoch zu schreiben. Ich werde ein paar Ideen hier im Tagebuch ausprobieren, bevor ich dann die Reinschrift auf bestem Altpapier anfertige.
Aber erst mal eine Tasse Tee, um die grauen Zellen auf Trab zu
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