Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
faszinierende Stunde, aber dann zog es mich doch wieder auf die Straße hinaus, damit wir es diesmal noch vor Einbruch der Nacht nach Fry Hall schafften.
Nach 40 Minuten hielten wir wieder. Diesmal standen wir vor einem Haus aus dem 16. Jahrhundert mit Wassergraben. Ich las das Schild. Noakes Cottage. Ich sah Stephen an. Wieder deutete er auf das Navi.
Insgesamt haben wir heute zwölf Nationalheiligtümer besichtigt, vom Katona Teichbiotop in Bude bis zum Lorraine Kelly Castle in Auchtermuchtie, nur Fry Hall war nicht dabei. Besiegt und verzagt kehrten wir nach Hause zurück. Man könnte meinen, das Navi oder jemand anders hätte etwas dagegen, dass wir hinfinden.
14. November, Montag
Habe heute Vormittag eine Mail von Mr. deClarkson mit seinen letzten Nachbesserungen zum Stundenplander Schule bekommen. Auf den ersten Blick sieht das alles schrecklich aufregend aus und dient bestimmt der Allgemeinbildung, aber ich frage mich doch, wozu die neue phonische Herangehensweise an die Hauswirtschaftslehre dient und was das blinde Vertrauen in Ballontiere im Geschichtslehrplan soll.
15. November, Dienstag
Ach, dieser unverwechselbare faulige Geruch nach Herbst. Was da alles in mir aufsteigt. Aber viel zu schnell ist alles vorbei, und Stephen hat seine Winterhose angezogen.
16. November, Mittwoch
Ein doch eher ärgerlicher Lyrikkurs heute Abend. Angela (mir persönlich zu familiär, aber sie bestand darauf, dass ich sie so nenne – anscheinend nennt niemand im Kurs sie Miss Wordsmith) händigte mir meine Beurteilung aus. Sie schreibt, mein Werk sei »sekundär, phantasielos und ästhetisch redundant«. Wenn das ihr Eindruck von mir ist, möchte ich lieber nicht wissen, was sie von den anderen Kursteilnehmerinnen hält.
17. November, Donnerstag
Elternabend des Herbst-Trimesters. Im Rahmen von Mr. deClarksons neuer und vorausschauender Lehrmethodikwurde er als Schattenspiel abgehalten, bei dem die Lehrer nur als Silhouetten hinter einem Paravent aus Papier zu sehen waren. Trotz der neuen Herangehensweise lief es ganz auf die alten Standard-Bewertungen hinaus – nur mussten die Lehrer sich diesmal nicht zum Grinsen zwingen, als sie uns begrüßten –, aber die gute Nachricht ist, dass Brangelina für das Gymnastikteam der Schule aufgestellt wurde, weil sie die einzige Schülerin ist, die einen vollen Rückwärtssalto mit Seitüberschlag sowie eine 360°-Schädelrotation schafft.
18. November, Freitag
Nach der Erfahrung im Lyrikkurs am Mittwoch möchte ich im nächsten Trimester mal was Neues ausprobieren. Im Angebot ist noch Kunstschmieden für Anfänger. Das ist harmlos, dafür leg’ ich meine Hand ins Feuer.
19. November, Samstag
Für heute Mittag habe ich einen Lammbraten gemacht. Er sieht herrlich aus und duftet köstlich, wenn das Eigenlob gestattet ist. Dummerweise ist mir die Pfefferminzsauce ausgegangen, aber wir haben ja Odol im Haus.
20. November, Sonntag
Endlich – Fry Hall! Nach all der Zeit kann ich es jetzt kaum glauben! Die Fahrt zog sich hin – hauptsächlich weil Stephen alle paar Kilometer anhalten und aussteigen musste, um ein »wahnsinnig wichtiges Telephonat« zu erledigen – ging garantiert um irgendeine superwichtige Angelegenheit wie das Pferderennen um 15:30 Uhr in Kempton Park. Egal, irgendwann kamen wir an, und ich muss zugeben, das Warten hat sich gelohnt! Allein die Ländereien waren den Besuch wert, die Gärten erinnerten an Gosford Park, und der Erlebnispark »Ich bin so Fry« hatte Klettergerüste und die mitreißende »Mr. Frys Wilde Rolle«. Als wir endlich ins Haus kamen, konnten wir die opulentesten Augenweiden abgrasen – vom Speisesaal mit seinen 120 Silbergedecken über die grandiosen Smaragdlüster in der Wagner-Halle bis hin zum Café im elisabethanischen Stil mit seinen Kannen Dorian-Gray-Tee und einem Sorbet aus fussligen Feigen. Ich war überwältigt. Über dem Kamin gab es sogar einen riesigen Schild mit dem Familienwappen und dem Wahlspruch der Frys »Moab…« irgendwas – dürfte Latein gewesen sein. Die einzige Enttäuschung waren die ganzen Vorhänge. Anscheinend wurden sämtliche Familienporträts übers Wochenende restauriert und blieben den Blicken der Öffentlichkeit deswegen entzogen.
Liebes Tagebuch, Du weißt, dass es ganz und gar nicht meine Art ist, mich über Vorschriften hinwegzusetzen, aber ich muss zugeben, dass mich hier die Neugier übermannte. Und wer wollte mir das verdenken?Dieser Ort konnte schließlich
Weitere Kostenlose Bücher