Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

aber auch gar nichts von Kindern. Kinder muss man gewähren lassen, nicht ermahnen. Immerhin haben diese Kindlein schlimme traumatische Erfahrungen hinter sich. Die Bomben, die Angst, die Unsicherheit– vertrieben aus ihren Nestern und in ein fremdes Land verschickt. Und dann auch noch herumgestoßen von Leuten wie Miss Pringle– die nur das Gehalt interessiert, sonst nichts. Du wirst sehen. Mein liebendes Verständnis und meine sanfte Führung werden Wunder bewirken. Und natürlich brauche ich einen Mann im Haus « , fügte sie hastig hinzu. » Besonders einen, der bei der britischen Armee war und zu dem sie als Held aufblicken können. Übrigens habe ich ein hervorragendes Buch über die pädagogisch richtige Betreuung von Kindern. Ich möchte, dass du es heute Abend liest. Wir dürfen keine Zeit verlieren. «
    Recht hatte sie. Im Wohnzimmer spielten die Kinder ihr Lieblingsspiel. In wenigen Tagen lernte ich: Ist es leise, wenn Kinder spielen, droht Gefahr. Auf Zehenspitzen gingen wir ins Zimmer und sahen die Mädchen aufgereiht an der Wand stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, sich obszön wiegend, während die Jungen an ihnen vorbeischlenderten und sie eindringlich musterten.
    » Albert, mein Herzchen, wie heißt das Spiel, das ihr da spielt? « , fragte Tante Mame.
    » Waterloo Bridge « , zierte sich Albert.
    » Wie geht das Spiel, mein Herzchen? «
    » Die Mädchen sind Prostituierte, und wir schleppen sie ab. «
    Tante Mame fiel die Kinnlade runter.
    » Wie wär’s mit einer kleinen Nummer gleich hier im Stehen, Mame, altes Haus? « , sagte Edmund und grinste schleimig.
    » Dir werd ich’s zeigen! « , drohte ich.
    » Patrick, bitte! Denk an die neurotische Verfassung der Kleinen « , sagte Tante Mame. » Ich glaube, es reicht jetzt mit diesem Spiel, meine Lieben. Es ist Schlafenszeit, und wir müssen uns stärken für die Freuden, die der morgige Tag uns bringt. Patrick und ich werden euch ausziehen und ins Bett bringen. «
    » Die Kinder sind alt genug, die können sich allein ausziehen « , brummte ich.
    » Es ist wichtig am ersten Abend « , flüsterte Tante Mame. » Es schafft die Intimität der Vater- und Mutterbindung. «
    Oben im ersten Stock herrschte leichte Verwirrung, wer denn nun wen ausziehen sollte. Edmund, der mit seinen fünfzehn Jahren frühreifer war als wünschenswert, wollte Tante Mame für sich, und Gladys wollte unbedingt mich. Wir losten aus. Ich fing mit Albert an. Ich glaube, Albert hasste ich am meisten, obwohl das schwer zu entscheiden war. Jedenfalls konnte man mit ihm am leichtesten fertig werden. Er war ein Langfinger und Speichellecker, ein Spitzel und Feigling und von daher viel zu sehr darauf erpicht, sich als gefällig zu erweisen. Als ich Albert in die Badewanne verfrachtet hatte, widmete ich mich Ginger, dem mürrischsten, arglistigsten, abweisendsten Kind, das ich je erlebt hatte. Dann kam Edmund dran.
    » Fassen Sie mich einmal an, und ich brüll das Haus zusamm « , grummelte er.
    » Ist mir recht « , sagte ich. » Geh allein ins Bett. «
    » Vielleicht, vielleicht auch nicht. «
    » Und ob du gehst « , sagte ich und packte ihn an den Schultern.
    » Nehmen Sie Ihre dreckigen Pfoten weg. Können mich mal am Arsch lecken « , sagte er und bückte sich.
    » Schon verstanden, Edmund « , sagte ich. » Guck, ich fasse dich auch nicht an. « Ich holte Anlauf und versetzte ihm einen Tritt in den Hintern, dass er durchs Zimmer flog. Ich hatte mit dem kranken Bein zugelangt, und es tat höllisch weh, aber es hatte sich gelohnt. Edmund versank unter der Bettdecke.
    Um Mitternacht kam ich endlich selbst ins Bett und versuchte noch etwas in Das Kind des zwanzigsten Jahrhunderts zu lesen. Gerade war ich an ein lehrreiches Kapitel gelangt– » Masturbation: Sünde oder Symptom? « –, da vernahm ich ein leises Rascheln an meiner Tür.
    » Wer ist das? « , rief ich.
    » Ich bin’s, Gladys. «
    » Was willst du? «
    » Mir ist kalt. «
    » In deinem Kleiderschrank ist noch eine Decke. «
    » Nu komm schon, großer, dunkler, hübscher Mann, nimm mich in dein Bett und knabber an mich rum « , gluckste sie wenig verlockend durchs Türblatt.
    » Geh zurück auf dein Zimmer « , brüllte ich, » sonst versohl ich dir den Hintern, dass du zwischen heiß und kalt nicht mehr unterscheiden kannst. «
    » Sadist, Sie « , kicherte sie und schlich auf Zehenspitzen davon.
    Noch nie in meinem Leben hatte ich so einen Sommer erlebt. Die sechs kleinen Briten hätten gereicht, um