Darling
fragte er zögerlich.
Sein Freund nickte.
Als Adrian zehn Minuten später mit nassen Haaren und Handtuch um den Hüften aus dem Bad zurückkehrte, wühlte sich Enzo hektisch durch ein Dutzend Schuhkartons.
„Hier, Kumpel!“ Strahlend hielt er Adrian den Zweitschlüssel der Wohnung hin.
„Falls Annika länger zickt, kannst du als ‚House-and-Flower-Sitter’ die nächsten Tage hier abtauchen und meine Pflanzen gießen. Hab nämlich ab morgen Urlaub bis Sonntag. Meine Mama feiert morgen ihren Sechzigsten. Und da ist Präsenz vom Sohnemann in München erwünscht.“
Als Adrian sich bei Enzo bedanken wollte, wimmelte der mit breit ausgestreckten Händen ab.
„Lass stecken, Kollege. Hättest du sicher auch für mich getan.“
Dann verschwand er fröhlich pfeifend mit einer Zigarette im Badezimmer.
19
Der Aktenberg auf Edith Tannhäusers Schreibtisch war während des Trips an den Main nicht kleiner geworden. Ihre Sekretärin schien das jedoch nicht sonderlich zu stören, denn sie telefonierte gerade fröhlich mit einer Freundin. Gnadenlos hechelten sie die Bekanntschaften der vergangenen Nacht durch.
Ediths Blick fiel auf ihre Grünpflanzen am Fenster, die trübe die Blätter hängen ließen. Auf den Gedanken, die armen Dinger während ihrer Krankheit mal zu gießen, war anscheinend niemand gekommen.
„Lassen Sie sich nicht stören, Frau Müller“, flötete Edith mit einem ironischen Lächeln in Richtung Sekretärin. „Wenn Sie mit Ihrer Freundin und dem jungen Mann fertig sind, kümmern wird uns ein bisschen um die Post da vorne im Körbchen, okay?“
Der Sekretärin schoss das Blut in den Kopf wie einem Teenager, der beim Ladendiebstahl auf der Zeil erwischt worden war.
„Entschuldigung“, murmelte sie. Mit einem „Ich ruf dich gleich zurück“, legte sie den Hörer auf und wandte sich dienstbeflissen ihrer Chefin zu.
„Gibt es eine aktuelle Vermisstenanzeige?“, fragte Edith.
„Keine, die auf die ertrunkene Tote aus dem Main passt.“ Edith zog die rechte Augenbraue hoch.
„Bitte?“, fragte sie. „Woher wissen Sie das?“
„BILD hat schon angerufen. Der Chef vom Dienst will wissen, wann die Pressekonferenz zur Toten aus der Schleuse stattfindet.“
Edith spürte, wie kalte Wut in ihr hochstieg. Sie knallte die grüne Plastikgießkanne, die sie gerade vom Fensterbrett genommen hatte, heftig auf ihren Schreibtisch.
„Von wem in dieser bekloppten Stadt bin ich eigentlich nicht die Marionette?“, polterte sie los. Dann setzte eine heftige Hustenattacke sie erst mal außer Gefecht. Der verständnislose Blick von Silke Müller war genau das, was ihr jetzt noch gefehlt hatte zu ihrem Glück.
Als der Husten abebbte, griff sie zum Telefonhörer und wählte die Mobilnummer von Sissi Wagner, der Chefin vom Taxifunk.
„Hallo Sissi … Ja, bin wieder fit … na ja, fast“, keuchte Edith ziemlich außer Atem. „Aber du klingst auch irgendwie müde?
…Doppelschicht? …Zu wenig Personal? … Puh, wem sagst du das.“
Seit mehr als zwanzig Jahren, als sie nach einem Mord an einem Taxifahrer im Milieu ermittelt hatte, war sie mit Sissi Wagner befreundet. Beide waren sich damals spontan sympathisch gewesen. Denn beide teilten das gleiche Schicksal, ihre Jobs diszipliniert und resolut organisieren zu müssen. Auch Sissi war aus beruflichen Gründen nach Frankfurt gezogen. Und aus der vorübergehenden Durchgangsstation war so etwas wie Heimat geworden. „Rufst du wegen der ertrunkenen Frau an?“, fragte Sissi. Edith war verblüfft.
„Anscheinend bin ich heute Morgen ausschließlich von Hellsehern umgeben.“
Die Kommissarin schmollte.
„Was ist los mit dir, Edith? Bist du mal wieder schlecht gelaunt? Welche Läuseherde ist dir denn diesmal über die Leber gelaufen? Schalt doch einfach mal dein Radio ein“, unterbrach Sissi das Grummeln der Kommissarin. „Die Geschichte von der Mainleiche läuft seit mindestens neun Uhr alle halbe Stunde bei jedem Radiosender in dieser Stadt rauf und runter.“
Edith seufzte. Es war immer das gleiche Spiel mit den Frankfurter Medien. Wobei der Druck, Auflage und Quote zu machen, deutlich zugenommen hatte. Und das Katz-undMaus-Spiel um Informationen und Schlagzeilen zunehmend zugunsten der Medien ausging.
„Ich frag’ nachher mal die Fahrer, ob einer die Frau gestern Abend gefahren hat. Dann rufe ich zurück.“ Sissi klang versöhnlich. „Aber wenn ich dich schon an der Strippe habe, was hältst du davon, wenn wir übermorgen mal wieder in
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