Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Ascensores, unmöglich steil kletternde Zahnradbähnchen, die ältesten aus dem 19. Jahrhundert, auf die zahlreichen Hügel mit ihrem chaotischen Straßengewirr.
Als wichtigster Hafen ist »Valpo«, wie die Bewohner ihre Stadt nennen, seit dem Besuch der Beagle von unter zehntausend auf eine Viertelmillion angewachsen. Dem Charme der »Perla del Pacifico« haben sie nicht geschadet. Selbst das Elend gibt sich hier malerisch. Jenseits der sicheren, für Postkartenfotos aufbereiteten Gassen um Touristenziele wie das Café Turri erstrecken sich pittoresk die schlimmsten Slums des Landes.
Darwin hält sich hier mehrere Wochen im Haus eines englischen Schulfreunds auf. Bei seiner letzten Exkursion ist er ernsthaft erkrankt.
Sechs Wochen lang muss er das Bett hüten. Niemand weiß, woran er gelitten hat. Medizinhistoriker haben über die damals in Chile verbreitete Chagas-Krankheit spekuliert, die unter anderem mit Durchfall, Bauchschmerzen und Krampfanfällen einhergeht, und versucht, mit deren Folgen Darwins lebenslange Gesundheitsprobleme zu erklären. Nach heutigem Dafürhalten sprechen die Symptome der chronifizierten Seekrankheit allerdings eher für Stress - und zwar jenen nach der Rückkehr.
Schon in seinen besten Jahren zwischen dreißig und vierzig leidet Darwin so schlimm, dass er zu sterben fürchtet. Apropos Tod , schreibt er einmal, mein vermaledeiter Magen … hat sich weiter verschlechtert . In sein Arbeitszimmer hat er sich, hinter einem Vorhang, einen Spucknapf einbauen lassen. Die Brechanfälle können sich über Stunden hinziehen. Dazu macht sich ein juckendes Ekzem im Gesicht breit. Die Entstellung verbirgt er zunächst hinter einem Backenbart. Seine liebevolle Frau und Krankenschwester darf sich gleichwohl wieder und wieder davon überzeugen, dass die Krankheit seine Zeugungsfähigkeit nicht weiter beeinträchtigt. Während seiner achtjährigen Arbeit an den Rankenfüßern bringt sie eine weitere Tochter und drei Söhne zur Welt.
Darwin zieht sich immer mehr zurück. Er lässt sich am Rande des Anwesens in Down einen Spazierweg anlegen. Täglich dreht er Runden auf seinem geliebten »sandwalk« und grübelt in Gottes freier Natur über die Unfreiheit alles Lebendigen nach. In seinem Weltmodell hat das Leben keine Wahl, sondern folgt unumstößlichen Gesetzen wie die Teile einer Maschine. Während die Revolutionen von 1848 Europa durcheinanderwirbeln, schaut er durchs Mikroskop und studiert das Sexualleben der Rankenfüßer. Sein Leben läuft ab wie ein Uhrwerk: Frühstück - Arbeit - Post - Arbeit, Spaziergang - Mittagessen - Briefe - Schläfchen - Arbeit - Ruhepause - Tee und Abendbrot - Bücher - Bett.
Er vernachlässigt Kollegen, Freunde und, was am schwersten wiegt, seinen altersschwachen, inzwischen auf den Rollstuhl angewiesenen Vater im fernen Shrewsbury. Die beiden unverheirateten Schwestern Susan und Catherine kümmern sich um den alten Mann. Sie haben sich nach der Rückkehr des Bruders mehr Nähe und emotionale
Unterstützung von ihm erhofft. Am liebsten hätten sie ihn in einer hübschen Landpfarrei im heimischen Shropshire gesehen. Ein Pfarrer und Amateurforscher wie Vetter Fox.
Doch Darwin hat sich längst von seinem Gott entfernt. Er macht sich rar, zieht sich zurück, igelt sich ein. Und das aus gutem Grund. Mit dem Vater, den er auch »Gouverneur« nennt, verbindet ihn seit der Jugend ein handfester Schuldkomplex. Er ist lebensklug seinen eigenen Weg gegangen, statt nach väterlichem Willen Arzt oder Pfarrer zu werden. Da er den Seelenfrieden seines Erzeugers nicht stören will, kann er sich nicht offenbaren. So wird der Vater nie erfahren, dass der Sohn dabei ist, den Namen Darwin unsterblich zu machen.
Er sieht ihn zum letzten Mal während eines Besuchs im Elternhaus im Oktober 1848. Anfang November, im Beisein von Tochter Susan, stirbt der Alte vierundachtzigjährig friedlich in seinem Sessel. Warum Darwin die Beerdigung versäumt, ist umstritten. Vermutlich hat er den Zug von London in die Midlands verpasst. Ein ungewöhnlicher Vorfall, zumal er sonst dafür bekannt ist, lange vor der Abfahrtszeit am Bahnsteig zu sein. Es gibt andere Wege, den Vater zu beerdigen, als an seinem Grab zu stehen. Trauer und das Gefühl von Befreiung gehen oft Hand in Hand.
Die Erbschaft fällt viel üppiger aus als erwartet. Darwin müsste bis an sein Lebensende kein Geld mehr verdienen. Doch der Erfolg seiner Bücher und Investitionen in Eisenbahn- und Minengesellschaften werden sein
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