Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
ein Gasthaus, das sich »Gardner’s Inn« nennt und damit brüstet, schon 1832 eine Schanklizenz besessen zu haben. Ein sehr behagliches Wirtshaus; es erinnerte mich an die kleinen Wirtshäuser in Nordwales. Heute ist es groß, aber nicht minder gemütlich. Wir trinken dunkles Bier vom Fass.
»Resch’s Refreshes!« steht auf dem Glas. Zungenbrecher für Zechgesellen. Wer das nicht mehr flüssig rausbringt, muss sein Auto stehen lassen. 1986 haben sie hier ein Darwin-Dinner veranstaltet.
Vor der Wirtschaft trennen wir uns. Nicholas muss zurück nach Sydney, gibt mir noch genaue Anweisungen für meinen Weg auf Darwins Spuren. Ich fahre ungefähr drei Meilen zum Govett ’ s Leap: Ein Blick von ähnlicher Art wie der beim Weatherbord, aber vielleicht noch eindrucksvoller. Ein mächtiger Canyon, an den Hängen bewaldet, die Wände darüber sandsteingelb. Große, armartige Buchten, die sich an ihrem oberen Ende ausdehnen, zweigen oft vom Haupttal ab und dringen in die Sandsteinebene ein; die Plattform reckt ihrerseits oftmals Vorgebirge in die Täler und lässt sogar große, nahezu freistehende Massen darin zurück. Schon ist Charles Lyell wieder präsent, schon stellt man sich die Frage, ob diese Räume sich nicht vielleicht abgesenkt haben. Inzwischen wissen wir, dass allein Erosion die gewaltige Leistung vollbracht hat.
Hinter den Blauen Bergen führt die Straße in steilen Kurven gut dreihundert Höhenmeter von der Sandsteinebene über den Pass des Mount Victoria hinab. Um diesen Pass zu bauen, musste eine gewaltige Steinmenge durchschnitten werden. Die Straße folgt bis heute dem alten Profil, das damals Sträflingsknechte in den Sandstein schlugen. Der Untergrund der Ebene besteht aus Granit. Mit dem Wechsel der Gesteinsart verbesserte sich auch die Vegetation. Die Bäume waren schöner und standen weiter auseinander. Sanfte Hügel, Weiden, Wälder und kleine Ortschaften. Die Landschaft könnte irgendwo in Mitteleuropa sein. Ich will zu einem Gut namens Walerawang - heute ein Städtchen, das sich mit zwei »l« schreibt. Dort, am Cox’s River, hat Darwin etwas in sein Tagebuch geschrieben, das als Schlüssel zu seinem frühen evolutionären Denken gilt.
Ein gewisser James Walker aus Schottland hat sich hier seit 1823 für zehn Pfund Gebühr insgesamt 155 000 Hektar Land zu eigen gemacht. Zu dem Anwesen, ein Beispiel für die großen Landbau- oder vielmehr Schafzuchtbetriebe der Kolonie, gehört eine stattliche Villa. Dort trifft Darwin den Verwalter des Gutes. Mr. Browne erklärt ihm, wie hier mit Strafgefangenen gearbeitet wird. Sosehr Darwin die leuchtendsten Tönungen der umliegenden Wälder im Sonnenuntergang gefallen, er kann nicht vergessen, dass vierzig verhärtete, ruchlose Männer gleich Sklaven aus Afrika, doch ohne deren heiligen Anspruch auf Mitgefühl, ihr Tagewerk
beendeten. Ohne die Delinquenten aus England hätte die Strafkolonie nicht die schwungvolle Entwicklung nehmen können, deren Zeuge Darwin wird. Du bist ein wachsendes Kind , wird er zum Abschied über Australien schreiben . Doch du bist zu groß und zu ehrgeizig für Zuneigung, aber nicht groß genug für Respekt.
Die Villa als einzige Attraktion der Ortschaft versinkt 1979 in einem kleinen Stausee. Der liefert Kühlwasser für das Kraftwerk, das seither mit seinen Schloten und Kühltürmen den Ort überschattet. An dem See liegt ein »Charles Darwin Park«, kein Naturareal, sondern Freizeitfläche mit Liegewiesen und Badestrand. An einem Findling soll eine Messingplakette angebracht sein, die an seinen Besuch erinnert. Seit Neuseeland kann ich Darwin mit dem Reiseführer folgen. Überall Gedenktafeln, Wanderwege und Experten.
Hier hätte ich mir die Suche nach der Denkmarke ersparen und gleich den »Lithgow Mercury« kaufen sollen, das Lokalblatt. Die gesamte Titelseite widmet sich dem Skandal, der die Leute aufbringt: »Metal thieves«, Metalldiebe, haben die Platte gestohlen, bereits der dritte Fall in kurzer Zeit. Was auf den ersten Blick wie ein Jungenstreich zur Aufbesserung des Taschengelds wirkt, erscheint den Leuten wie ein Menetekel des Abstiegs. Seit das Kraftwerk und die nahen Kohleminen Jobs abbauen, nehmen Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung zu.
Sue Neudeck, die Leiterin der kleinen Gemeindebibliothek, kann einfach nicht glauben, dass wieder ein »Verbrechen« ihren Ort in die Schlagzeilen gebracht hat. Sie hat das Titelblatt schon für den Schaukasten im Eingangsbereich beiseitegelegt. Auf der Glasscheibe fordert
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