Das 1. Buch Des Blutes - 1
nicht die blasseste Ahnung, wie das ist.
»Passen Sie auf, zweimal zuckt der Lämmerschwanz, und Sie sind wieder in Ordnung.«
Ach, ein Lamm bin ich? Für ein Lamm hält er mich?
Versonnen streifte sein Blick seine gerahmten Zertifikate über ihm, dann seine manikürten Nägel, dann die Füller auf dem Schreibtisch und dem Notizblock. Aber Jacqueline sah er nicht an. Überallhin, außer zu Jacqueline.
»Ich weiß«, sagte er jetzt, »was Sie durchgemacht haben, und es hat traumatisch gewirkt. Frauen haben bestimmte Bedürfnisse. Wenn sie unerwidert bleiben…«
Was wollte er von Frauenbedürfnissen wissen? Du bist keine Frau, glaubte sie zu denken.
»Wie?« fragte er.
Hatte sie gesprochen? Sie schüttelte den Kopf, verweigerte das Sprechen. Er fuhr fort, fand noch einmal seinen Rhythmus: »Ich hab’
nicht vor, Sie durch endlose Therapie-Sitzungen zu schleusen. Das möchten Sie doch nicht, oder? Sie möchten ein bißchen Beruhigung, und Sie möchten etwas, das Ihnen nachts das Schlafen erleichtert.«
Jetzt machte er sie ernstlich wütend. Seine Herablassung war nicht einfach tief, sie war bodenlos. Der alles wissende, alles sehende Vater; so führte er sich auf. Als wäre er mit irgendeiner wundersamen Einsicht ins Wesen der Frauenseele begnadet.
»Natürlich hab’ ich’s bei Patienten früher auch mit Therapie versucht.
Aber unter uns…«
Er tätschelte ihr leicht die Hand. Vaters warme Finger auf ihrem Handrücken. Vermutlich sollte sie davon geschmeichelt, beruhigt, vielleicht sogar betört sein.
»… unter uns, es ist so viel Gerede dabei. Endloses Gerede. Offen gestanden, wozu soll das gut sein? Wir haben alle unsere Probleme.
Man kann sie doch nicht einfach wegreden, oder?«
Du bist keine Frau. Du siehst nicht aus wie eine Frau, du empfindest nicht wie eine Frau…
»Haben Sie was gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich dachte, Sie hätten was gesagt. Sie brauchen sich bei mir wirklich kein Blatt vor den Mund zu nehmen.«
Sie erwiderte nichts, und er hatte die Vertraulichkeits-Masche anscheinend langsam satt. Er stand auf und ging zum Fenster.
»Ich glaub’, das Beste für Sie…«
Er stand im Licht. Verdunkelte das Zimmer, trübte die Sicht durchs Fenster, auf die Kirschbäume, den Rasen. Sie starrte seine breiten Schultern an, seine schmalen Hüften. Ein prachtvolles Mannsbild, so hätte Ben ihn eingestuft. Zum Kinderkriegen denkbar ungeeignet.
Dazu da, die Welt neu zu schaffen, so ein Körper wie seiner. Und wenn nicht die Welt, dann müßte es wenigstens zum Neuschaffen von Seelen reichen.
»Ich glaub’, das Beste für Sie…«
Was wußte er schon, mit seinen Hüften, mit seinen Schultern? Er war viel zu sehr Mann, um irgend etwas von ihr zu begreifen.
»Ich glaub’, das Beste für Sie wird sein, Sie nehmen eine Zeitlang ein Beruhigungsmittel…«
Jetzt hatte sie die Augen auf seiner Taille.
»… und machen ein bißchen Urlaub.«
Ihr Bewußtsein hatte sich jetzt scharf auf seinen Körper unter der dünnen Kleidertünche konzentriert. Die Muskulatur, Blut und Knochen unter der elastischen Haut. Sie machte sich ein genaues, allseitiges Bild von ihm, taxierte seine Proportionen, schätzte seine Widerstandskraft ab, umschloß ihn dann in Naheinstellung. Sie dachte: Sei eine Frau.
Als sie dieses aberwitzige Wunschbild dachte, begann es mir nichts, dir nichts, Gestalt anzunehmen. Keine Verwandlung wie im Märchen, unglücklicherweise, sein Körper widersetzte sich solchem Zauber. Sie befähigte seinen Männer-Thorax dazu, Brüste aus sich selbst zu formen, und durchaus einnehmend fing er an zu schwellen, bis die Haut aufplatzte und sein Brustbein zerkrachte. Sein Becken, hochgereizt bis zur Zerreißgrenze, brach genau in der Mitte. Der Balance ledig, kippte er vornüber auf seinen Schreibtisch und starrte sie von dort unten her an, sein Gesicht gelb vor Schock. Er leckte und leckte sich unentwegt die Lippen, auf der Suche nach etwas Nässe zum Reden. Sein Mund war trocken, seine Worte totgeboren. Alles Geräusch kam von woanders her, zwischen seinen Beinen hervor: das Platschen seines Blutes, das Plumpsen seiner Därme auf den Teppich.
Angesichts der monströsen Absurdität, die sie geschaffen hatte, schrie sie auf und zog sich in die entferntest liegende Zimmerecke zurück, wo sie sich in den Topf des Gummibaums erbrechen mußte.
Mein Gott, dachte sie, das kann doch kein Mord sein. Ich hab’ ihn nicht mal angerührt dabei.
Jacqueline behielt für sich, was sie an jenem
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