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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Linie passierte. Niemand gratulierte.
    Die Luft um die Stufen schien sich zu verdunkeln, und ein jahreszeitlich verfrühter Frost durchhauchte sie.
    Mit entschuldigendem Kopfschütteln fiel Burgess auf die Knie.
    »Vater unser, der du warst im Himmel, verunheiligt werde dein Name…«
    So ein alter Trick. So eine naive Reaktion.
    Allmählich trat die Menge den Rückzug an. Manche rannten bereits.
    Die Kinder waren noch am wenigsten beunruhigt. Sie wußten, was es mit dem Dunkel auf sich hatte, waren sie doch mit ihm vor noch gar nicht langer Zeit in Berührung gekommen. Sie nahmen ihre Eltern bei der Hand und führten sie wie Lämmer weg von der Stelle, ermahnten sie, ja nicht hinter sich zu schauen, und ihre Eltern erinnerten sich vage an den Mutterschoß, den ersten Tunnel, den ersten schmerzenden Abgang von einem geheiligten Ort, die erste schreckliche Versuchung, sich umzuschauen und zu sterben. Sie erinnerten sich und gingen brav mit ihren Kindern mit.
    Nur Kinderman schien ungerührt. Er saß auf den Stufen, reinigte seine Brille und kostete lächelnd den Sieg aus, gleichgültig gegenüber der frostigen Kühle.
    Burgess, der wußte, daß seine Gebete unzulänglich waren, nahm Reißaus und verschwand ins Parlamentsgebäude.
    Der Familiaris, allein gelassen, gab jeglichen Anspruch auf menschliches Aussehen preis und wurde ganz er selbst. Weder Saft und Kraft noch Würze, dieses eklig schmeckende Fleisch von Joel Jones; er spie es aus. Halb zerkaut lag das Gesicht des Läufers auf dem Schotter neben seinem Körper. Der Dienstgeist löste sich in Luft auf und kehrte zu dem Höllenkreis zurück, der ihm Hort und Heimat war.
    Muffig war es in den Korridoren der Macht: kein Leben, keine Hilfe.
    Burgess war in schlechter Verfassung, und vom Rennen verfiel er bald ins Gehen. Gleichmäßiges Dahinschreiten durch den Trübsinnsdämmer der Korridore, fast lautlos seine Füße auf dem vielbegangenen Teppich.
    Er wußte nicht recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Zweifellos wurde man ihn wegen der Tatsache zur Verantwortung ziehen, daß er bei seinem Plan nicht sämtliche Eventualitäten mit einkalkuliert hatte, aber er war zuversichtlich, daß er sich aus dem Ganzen schon irgendwie herausreden könnte. Egal, was sie als Entschädigung für seinen Mangel an Voraussicht verlangten, er würde es ihnen geben. Ein Ohr, einen Fuß; außer Fleisch und Blut hatte er nichts zu verlieren.
    Aber er mußte seine Verteidigung sorgfältig aufbauen, denn sie haßten schwache Logik. Vor sie mit halbdurchdachten Ausflüchten hinzutreten, das hieße, sein Leben mehr als aufs Spiel zu setzen.
    Ein kühler Schauer in seinem Rücken; er wußte, was es war. Die Hölle war ihm gefolgt, diese lautlosen Korridore entlang, sogar noch in den eigentlichen Schoß der Demokratie. Dennoch würde er am Leben bleiben, solange er sich nicht umdrehte. Solange er die Augen auf dem Boden hielte oder auf seinen daumenlosen Händen, würde ihm kein Schaden zugefügt. Das war eine der ersten Lektionen, die man im Umgang mit dem Orkus lernte.
    Frost war in der Luft. Burgess’ Atem wurde sichtbar vor ihm, und Kälte umkrallte seinen Kopf.
    »Es tut mir leid«, sagte er aufrichtig zu seinem Verfolger.
    Die Stimme, die ihm erwiderte, war milder, als er erwartet hatte. »E»
    war nicht deine Schuld.«
    »Doch«, sagte Burgess und gewann Zuversicht aus ihrem versöhnlichen Tonfall. »Es war ein Versehen, das ich zutiefst bereue. Ich vergaß Kinderman.«
    »Das war ein Fehler. Wir machen alle welche«, sagte die Hölle.
    »Trotzdem, nach den nächsten hundert Jahren versuchen wir e»
    wieder. Die Demokratie ist noch ein neuer Kult. Sie hat noch nichts von ihrem seichten Modeglamour eingebüßt. Wir geben ihr ein weiteres Jahrhundert und schlagen sie dann.«
    »Ja.«
    »Aber du -«
    »Ich weiß.«
    »Keine Macht für dich, Gregory.«
    »Nein.«
    »Aber damit geht die Welt nicht unter. Schau mich an.«
    »Im Augenblick nicht, wenn’s Euch nichts ausmacht.«
    Burgess ging unbeirrt weiter, setzte gleichmäßig einen Fuß vor den ändern. Nur Ruhe bewahren. Klaren Kopf bewahren.
    »Schau mich an, bitte«, säuselte die Hölle.
    »Später, Sir.«
    »Ich bitte dich doch nur, mich anzuschauen. Ein bißchen Respekt wäre lehr zu begrüßen.«
    »Ich tu’s auch. Tu’s wirklich. Später.«
    An dieser Stelle gabelte sich der Korridor. Burgess nahm die Abzweigung zur linken Hand. Er dachte, das Symbolische daran wäre womöglich schmeichelhaft. Es war eine Sackgasse.
    Burgess

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