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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sind Sie?« fragte Lewis wieder.
    Der Mann schüttelte den Kopf; schüttelte - doch, tatsächlich - den Körper, während seine behandschuhten Hände um seinen Mund herumfuchtelten. War er stumm? Das Kopfschütteln wurde jetzt noch heftiger, so als bekäme er gleich einen Anfall.
    »Sind Sie okay?«
    Unvermittelt hörte das Schütteln auf, und zu seiner Überraschung sah Lewis, wie dem Fremden Tränen, große, dickflüssige Tränen in die Augen stiegen und über die rauhen Wangen in den buschigen Bart rollten.
    Als schämte er sich der Zurschaustellung seiner Gefühle, trat der Mann, sich abwendend und dumpfe Schluchzlaute in der Kehle ausstoßend, aus dem Lichtschein und verließ das Zimmer. Lewis folgte ihm. Dieser Fremde interessierte ihn viel zu sehr, als daß ihn seine eventuellen Absichten ernsthaft hätten ängstigen können,
    »Warten Sie!«
    Der Mann hatte, flink und wendig trotz seiner Statur, die Treppe zum ersten Stock zur Hälfte hinter sich.
    »So warten Sie doch, ich muß mit Ihnen reden«, rief Lewis ihm nach und wollte die Treppe hinunter, hinter ihm her. Aber die Verfolgung war zum Scheitern verurteilt, ehe sie noch begann. Lewis’ Gelenke waren steif vom Alter und der Kälte, und es war spät. Nicht der rechte Zeitpunkt, um einem viel jüngeren Mann hinterherzulaufen, auf einem Bürgersteig, der durch Eis und Schnee zu einer tödlichen Gefahr wurde. Er jagte dem Fremden nicht weiter als bis zur Haustür nach und sah dann zu, wie er die Straße hinunter davonrannte; seine Gangart war ein affektiertes Getrippel, wie es Catherine gesagt hatte.
    Fast ein Gewatschel, lächerlich bei einem so großen Mann.
    Schon war sein Parfumgeruch vom Nordostwind weggefegt. Außer Atem stieg Lewis wieder die Treppen hoch, am Getöse der Party vorbei, um eine Garnitur Wäsche für Phillipe mitzunehmen.
    Am nächsten Tag erwachte Paris zu einem Schneesturm von noch nie dagewesener Heftigkeit. Die Glockenrufe zum Kirchgang blieben unerwidert, die heißen Sonntags-Croissants blieben ungegessen, die Zeitungen lagen ungelesen auf den Verkaufsständen. Wenige Menschen nur hatten den Nerv respektive den Beweggrund, aus dem Haus zu gehen und sich dem heulenden Gestöber auszusetzen. Sie saßen an ihren Kaminen, hatten die Arme um die Knie geschlungen und träumten vom Frühling.
    Catherine wollte Phillipe im Gefängnis besuchen, aber Lewis bestand darauf, allein zu gehen. Es war nicht einfach das kalte Wetter, das ihn in ihrem Interesse vorsichtig sein ließ; er mußte mit Phillipe heikle Dinge bereden, ihm schwierige Fragen stellen. Seit der Begegnung in seinem Zimmer letzte Nacht stand für ihn unzweifelhaft fest, daß Phillipe einen Rivalen hatte, wahrscheinlich einen mörderischen Rivalen. Die einzige Möglichkeit, Phillipes Leben zu retten, lag, so schien es, darin, den Mann ausfindig zu machen. Und wenn damit logischerweise eine penible Erkundung von Phillipes sexuellen Ge-pflogenheiten verbunden war, dann bitteschön. Aber das war kein Gespräch, das er, oder Phillipe, gern im Beisein von Catherine geführt hätte.
    Die frische Wäsche, die Lewis mitgebracht hatte, wurde durchsucht, dann Phillipe überreicht, der sie mit einem Dankesnicken an sich nahm.
    »Ich bin letzte Nacht zu deiner Wohnung, um dir die Sachen da zu holen.«
    »Ach.«
    »Aber es war schon jemand da.«
    Phillipes Kaumuskel begann heftig zu vibrieren, während er mahlend die Zähne zusammenbiß. Er wich Lewis’ Blick aus.
    »Ein großer Mann, mit einem Bart. Kennst du ihn, oder weißt du was von ihm?«
    »Nein.«
    »Phillipe -«
    »Nein!«
    »Der gleiche Mann hat Catherine angegriffen«, sagte Lewis.
    »Was?« Phillipe hatte angefangen zu zittern.
    »Mit einem Rasiermesser.«
    »Sie angegriffen?« sagte Phillipe. »Bist du sicher?«
    »Oder es zumindest vorgehabt.«
    »Nein! Er hätte sie niemals angefaßt. Nie!«
    »Wer ist das, Phillipe? Weißt du’s?«
    »Sag’ ihr, sie soll nicht wieder hingehn; bitte, Lewis…« Seine Augen baten flehentlich. »Bitte, sag ihr um Himmels willen, sie soll dort niemehr hingehen. Tust du das? Oder du. Du genausowenig.«
    »Wer ist das?«
    »Sag es ihr.«
    »Werd’ ich. Aber du mußt mir sagen, wer dieser Mann ist, Phillipe.«
    Er schüttelte den Kopf und biß jetzt mit hörbarem Knirschen die Zähne aufeinander. »Du würdest es nicht verstehen, Lewis. Ich kann unmöglich erwarten, daß du es verstehst.«
    »Sag’s mir; ich will dir doch helfen.«
    »Laß mich einfach sterben.«
    »Wer ist der Mann?«
    »Laß

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