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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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kleinen Zimmer im dritten Stock hinaufstieg. Türen gingen auf, als er daran vorbeikam, und neugieriges Geflüster begleitete ihn die Treppe hinauf, aber niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Das Zimmer, in dem die Greueltat geschehen war, war abgesperrt. Frustriert, aber zugleich unsicher, wie oder weshalb Phillipes Lage sich durch einen Einblick ins Innere des Zimmers verbessern sollte, ging er die Treppe wieder hinunter und hinaus an die frostrauhe Luft.
    Catherine war schon zu Hause, als Lewis am Quai de Bourbon ankam.
    Sobald er sie sah, wußte er, daß es etwas Neues zu hören gab. Das graue Haar fiel ihr lose auf die Schultern, steckte nicht in dem sonst bevorzugten Knoten. Das Licht der nahen Lampe tauchte ihr Gesicht in ein kränkliches Gelbgrau. Sie fröstelte, selbst in der leicht stickigen Luft der zentralgeheizten Wohnung.
    »Was ist los?« fragte er.
    »Ich war in Phillipes Appartement.«
    »Ich auch. Es war abgeschlossen.«
    »Ich hab’ den Schlüssel, Phillipes Reserveschlüssel. Ich wollte bloß ein paar Kleidungsstücke für ihn zusammensuchen.«
    Lewis nickte. »Und?«
    »Es war noch jemand andrer da.«
    »Von der Polizei?«
    »Nein.«
    »Wer dann?«
    »Das könnt’ ich nicht erkennen. Ich weiß es nicht genau. Er hatte einen großen Mantel an, einen Schal vorm Gesicht. Hut. Handschuhe.« Sie hielt inne. Dann: »Er hatte ein Rasiermesser, Lewis.«
    »Ein Rasiermesser?«
    »Ein offenes Rasiermesser, wie ein Friseur.«
    In Lewis Fox’ Halbbewußtsein schrillte etwas häßlich auf. Ein blankes Rasiermesser. Ein Mann, so gründlich bekleidet, daß man ihn nicht erkennen konnte.
    »Ich war zu Tod erschrocken.«
    »Hat er dir was getan?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich schrie, und er lief weg.«
    »Und hat kein Wort gesagt?«
    »Nein.«
    »Womöglich einer von Phillipes Freunden?«
    »Ich kenne Phillipes Freunde.«
    »Dann von dem Mädchen. Ein Bruder.«
    »Vielleicht. Aber…«
    »Was?«
    »Er hatte was Sonderbares an sich. Er roch nach Parfüm, er stank danach, und er bewegte sich mit so winzig kleinen Schritten, obwohl er riesig war.«
    Lewis legte den Arm um sie.
    »Wer’s auch war, du hast ihn verscheucht. Du darfst bloß nicht wieder hingehn. Wenn wir Phillipe von dort irgendwelche Kleider holen müssen, dann mach ich das gerne.«
    »Danke. Ich komm’ mir richtig blöd vor. Er kann ja einfach auf gut Glück reingerumpelt sein. Einer, der sich die Mordkammer ansehn wollte. Es gibt solche Leute, nicht? Aus irgendeiner krankhaften Faszination…«
    »Morgen red’ ich mit dem Wiesel.«
    »Wiesel?«
    »Inspektor Marais. Und lass’ ihn dort alles durchsuchen.«
    »Hast du Phillipe gesprochen?«
    »Ja.«
    »Geht’s ihm gut?«
    Einen langen Augenblick sagte Lewis nichts. »Er möchte sterben, Catherine. Er hat den Kampf schon aufgegeben, ehe er noch vor Gericht gestellt wird.«
    »Aber er hat gar nichts getan.«
    »Das können wir nicht beweisen.«
    »Du gibst immer an mit deinen Vorfahren. Dein gepriesener Dupin.
    Dann beweis’ es…«
    »Und wo soll ich anfangen?«
    »Hör’ dich mal unter seinen Freunden um, Lewis. Bitte. Womöglich hatte die Frau Feinde.«
    Jacques Solal starrte Lewis durch seine rundbauchigen Brillengläser an, die seine Iris riesig vergrößerten und verzerrten. Da er zuviel Cognac getrunken hatte, sah er noch schlechter aus als sonst.
    »Sie hatte überhaupt keine Feinde«, sagte er, »sie nicht. Äh, höchstens daß ein paar Frauen auf ihre Schönheit neidisch waren…«
    Lewis spielte mit den eingewickelten Zuckerwürfeln, die man ihm mit dem Kaffee serviert hatte. Solal war so uninformativ wie betrunken; aber unwahrscheinlich oder nicht, Catherine hatte das Würstchen da gegenüber als Phillipes engsten Freund bezeichnet.
    »Glaubst du, daß Phillipe sie ermordet hat?«
    Solal schürzte die Lippen. »Wer weiß?«
    »Und was meinst du rein instinktiv?«
    »Äh; er war mein Freund. Wenn ich wüßte, wer sie umgebracht hat, dann würd’ ich es sagen.«
    Es schien die Wahrheit zu sein. Womöglich ertränkte der Kleine einfach seine Sorgen in Cognac.
    »Er war ein Gentleman«, sagte Solal, und seine Augen schweiften Richtung Straße. Hinter der beschlagenen Scheibe des Brasserie-Fensters kämpften sich tapfere Pariser durch das Toben eines weiteren Schneesturms voran und bemühten sich vergebens, ihre Würde und Haltung in den Fängen der heftigen Böen zu wahren.
    »Ein Gentleman«, sagte er nochmals.
    »Und das Mädchen?«
    »Sie war schön, und er war verliebt in sie.

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