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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Kindermörder, Tait das Schattenwesen, Tait der Verwandler. Cleve schlug auf die Tür ein, bis ihm die Hände bluteten. Die Schritte schienen einen Erdteil weit weg.
    Kamen sie? Kamen sie?
    Der Frosthauch hinter ihm wurde zum Sturm. Cleve sah, wie sein Schatten von flackerndem blauem Licht auf die Tür geworfen wurde; roch Sand und Blut.
    Und dann die Stimme. Nicht die des Jungen, sondern die von seinem Großvater, von Edgar St. Clair Tait. Dies war der Mann, der sich selbst als Exkrement des Teufels bezeichnet hatte, und als er diese verabscheuungswürdige Stimme hörte, glaubte Cleve sowohl an die Hölle wie auch an ihren Herrn, glaubte sich selbst schon im Satanspfuhl, ein Augenzeuge seiner Wunder.
    »Sie fragen zuviel«, sagte Edgar. »Wird Zeit, daß Sie sich schlafen legen.«
    Cleve wollte sich nicht umdrehen. Sein letzter Gedanke war, daß er sich umdrehen und den Sprecher anschauen sollte. Aber er war nicht mehr seinem eigenen Willen unterworfen; Tait hatte die Finger in seinem Kopf und stümperte darin herum.
    Cleve drehte sich um und schaute.
    Der Gehenkte war in der Zelle. Er war nicht jene Bestie, die Cleve verschwommen wahrgenommen hatte, jenes Gesicht aus fleischigem Brei und Eiern. Er war leibhaftig hier; für ein neues Menschenalter herausgeputzt und nicht ohne Charme.
    Sein Gesicht war wohlgestaltet; seine Stirn breit, seine Augen unerschrocken. Noch immer trug er seinen Ehering an der Hand, die Billys geneigten Kopf wie den eines Schoßhundes streichelte.
    »Zeit zu sterben, Mr. Smith«, sagte er.
    Cleve hörte Devlin draußen auf dem Flur brüllen. Er hatte nicht mehr genug Atem, um zu antworten. Aber er hörte Schlüssel im Schloß, oder war das nur eine Illusion, die sein Bewußtsein zur Beschwichtigung seines panischen Entsetzens produziert hatte?
    Die winzige Zelle war voller Wind. Er warf den Tisch und den Stuhl um und hob die Laken in die Luft empor wie Kindheitsgespenster. Und jetzt nahm er Tait und den Jungen mit sich, saugte sie wieder ins entschwindende Weichbild der Stadt.
    »Kommen Sie schon…« forderte Tait, dessen Gesicht verfiel, »wir brauchen Sie, mit Leib und Seele. Kommen Sie
    mit uns, Mr. Smith. Uns schlägt man nichts ab.«
    »Nein!« entgegnete Cleve schreiend seinem Folterer. Der Sog zupfte an seinen Fingern, an seinen Augäpfeln. »Ich will nicht…«
    Hinter ihm klapperte die Tür.
    »Ich will nicht, hören Sie!«
    Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und warf ihn nach vorn in den Wirbelwind aus Nebel und Staub, der Tait und seinen Enkel fortstrudelte. Beinah wäre er ihnen gefolgt, wenn ihn nicht eine Hand am Hemd gepackt und ihn, eben als das Bewußtsein sich selber aufgab, vom Abgrund zurückgezerrt hätte.
    Irgendwo weit weg begann Devlin wie eine Hyäne zu lachen. Er hat den Verstand verloren, stellte Cleve fest; und auf dem Bild, das seine sich verdunkelnden Gedanken hervorriefen, entwich aus Devlins Mund der Inhalt seines Gehirns wie ein Rudel fliegender Hunde.
    Er wachte in Träumen auf; und in der Stadt. Erwachte mit der Erinnerung an seine letzten bewußten Momente: an Devlins Hysterie, an die Hand, die seinen Sturz abfing, während die zwei Gestalten vor ihm fortgestrudelt wurden. Er war ihnen anscheinend gefolgt, außerstande, sein komatöses Gemüt daran zu hindern, wieder den altvertrauten Weg zur Mördermetropole zu beschreiten. Aber Tait hatte noch nicht gewonnen. Cleves Anwesenheit hier war noch immer bloß geträumt. Sein körperliches Ich war noch in Pentonville; seine Verlagerung von dort teilte sich jedem seiner Schritte mit.
    Er lauschte dem Wind. Der war beredt wie immer: Die Stimmen kamen und gingen mit jeder sandigen Bö, verschwanden aber nie völlig, selbst wenn der Wind zu einem
    Geflüster erstarb. Wie er so lauschte, hörte er einen Schrei. In dieser stummen Stadt war das Geräusch ein Schock; es scheuchte Ratten aus ihren Nestern und Vögel von irgendeinem abgelegenen Marktplatz auf.
    Neugierig ging er dem Geräusch nach, dessen mehrfacher Widerhall beinah Spuren in der Luft hinterließ. Während Cleve die leeren Straßen entlangeilte, hörte er weitere erregte Stimmen, und jetzt erschienen Männer und Frauen an den Fenstern und Türen ihrer Zellen. So viele Gesichter, und zwischen dem einen und dem nächsten nichts Gemeinsames, das die Hoffnungen eines Physiognomen bestätigt hätte. Mord hatte so viele Gesichter, wie es Mordfälle gab. Ihr einziger gemeinsamer Grundzug war der des Elends, der geistig-seelischen Verzweiflung nach einem

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