Das 5. Buch des Blutes - 5
würde das das Ende bedeuten.
Die Lichter gingen aus. In den Zellen der fünf Flure des B-
Trakts drehten Männer das Gesicht dem Kissen zu. Manche lagen vielleicht wach und planten ihre Karriere für die Zeit, in der dieser kleinere Schluckauf in ihrem Berufsleben vorüber war; andere lagen in den Armen einer unsichtbaren Geliebten.
Cleve lauschte den Geräuschen aus der Zelle, dem rasselnden Lauf von Wasser in den Rohren, dem flachen Atmen vom unteren Bett. Manchmal hatte er den Eindruck, auf diesem muffigen Kissen ein zweites Leben verlebt zu haben, ausgesetzt in der Finsternis.
Das Atmen von unten wurde bald so gut wie unhörbar; auch gab es keinerlei Bewegungsgeräusch. Vielleicht wartete Billy
darauf, daß Cleve einschlief, ehe er irgendeine Bewegung machte. Falls ja, würde der Junge vergeblich warten. Er würde nicht die Augen zumachen und es denen überlassen, ihn im Schlaf abzuschlachten. Er war kein Schwein, das sich klaglos unters Messer begab.
So vorsichtig wie möglich, um keinen Verdacht zu erregen, schnallte Cleve seinen Gürtel auf und zog ihn durch die Schlaufen seiner Hose. Wenn er sein Laken und den Kissenbezug zerreißen würde, hätte er vielleicht brauchbarere Fesseln erhalten, aber das konnte er nicht tun, ohne Billys Aufmerksamkeit zu erregen. Jetzt wartete er, den Gürtel in der Hand, und tat so, als ob er schliefe.
Heut nacht war er dankbar, daß der Lärm im Trakt ihn ständig aus dem Dösen aufrüttelte, denn es verstrichen volle zwei Stunden, ehe Billy aus dem Bett stieg, zwei Stunden, in denen Cleves Augenlider - trotz seiner Angst vor dem, was geschehen würde, falls er schliefe - ihn bei drei oder vier Gelegenheiten hintergingen. Aber andere auf den Fluren weinten heut nacht; der Tod von Lowell und Nayler hatte selbst die hartgesottensten Sträflinge nervös gemacht. Schreie - und Gegenrufe von den dadurch Geweckten - interpunktierten die Stunden. Trotz der Müdigkeit in seinen Gliedern bezwang ihn der Schlaf nicht.
Als Billy endlich vom unteren Bett aufstand, war es weit über Mitternacht, und der Zellenflur war fast ruhig. Cleve konnte den Atem des Jungen hören; er ging nicht mehr gleichmäßig, sondern stockend. Cleve sah zu, mit zu Schlitzen verengten Augen, wie Billy durch die Zelle zu seinem altgewohnten Platz vor dem Fenster ging. Es gab keinen Zweifel, daß er gleich den Alten rufen würde.
Als Billy die Augen schloß, setzte Cleve sich auf, warf seine Decke ab und glitt vom Bett herunter. Der Junge reagierte nur langsam. Ehe er ganz begriff, was vorging, hatte Cleve die
Zelle durchquert und ihn gegen die Wand gestoßen, wobei er Billy mit der Hand den Mund zuhielt.
»Nein, das läßt du bleiben«, zischte er. »Ich tret’ nicht ab wie Lowell.« Billy zappelte und wand sich, aber Cleve war ihm körperlich eindeutig überlegen.
»Heute nacht kommt er nicht«, sagte Cleve und starrte dem Jungen dabei in die aufgerissenen Augen, »weil du ihn nämlich nicht rufen wirst.«
Billy wehrte sich heftiger, um freizukommen, und biß mit aller Kraft in die Handfläche seines Gefangennehmers.
Unwillkürlich zog Cleve die Hand weg, und mit zwei großen Schritten war der Junge am Fenster und langte hinauf. In seiner Kehle ein seltsamer Singsang; auf seinem Gesicht plötzliche und unerklärliche Tränen. Cleve zerrte ihn vom Fenster fort.
»Hör mit dem Geraunze auf!« fauchte er ihn an. Aber der Junge gab die Laute weiterhin von sich. Cleve schlug ihm mit der flachen Hand, aber heftig, voll ins Gesicht. » Halt’s Maul! «
sagte er. Noch immer weigerte sich der Junge, sein Gesinge zu beenden; die Melodie war jetzt in einen anderen Rhythmus übergegangen. Cleve schlug ihn abermals; und wieder. Aber die Gewaltanwendung brachte Billy nicht zum Schweigen. Ein Gewisper der Verwandlung erfüllte die Luft der Zelle; die Ver-teilung von Hell und Dunkel schichtete sich um. Die Schatten kamen in Bewegung.
Cleve geriet in Panik. Ohne Vorwarnung ballte er die Hand zur Faust und versetzte dem Jungen einen schweren Hieb in den Magen. Während Billy sich zusammenkrümmte, erwischte ihn ein Aufwärtshaken am Kiefer und trieb ihm den Kopf nach hinten gegen die Wand, wobei sein Schädeldach das Mauerwerk streifte. Billys Beine knickten ein, und er klappte zusammen. Ein Federgewicht, hatte Cleve einmal gedacht, und das stimmte. Zwei saubere Fausthiebe, und der Junge war flachge-
legt.
Cleve sah sich flüchtig in der Zelle um. Die Bewegung in den Schatten war angehalten worden; aber sie
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