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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ihre Zellen verließen, sah sich Cleve nach Devlin um, und als er ihn entdeckte, bat er um die Möglichkeit einer kurzen Unterredung, was auch bewilligt wurde. Nach dem Essen meldete sich Cleve bei dem Officer.
    »Sie haben mich gebeten, ein Auge auf Billy Tait zu haben, Sir.«
    »Was is’ mit ihm?«
    Cleve hatte sich den Kopf zerbrochen, was er Devlin wohl sagen könnte, um sofort verlegt zu werden. Ihm war nichts eingefallen. Er stammelte, in der Hoffnung auf eine Eingebung, fand aber keine Worte.
    »Ich… möchte hiermit um eine Zellenverlegung ersuchen.«
    »Weshalb?«
    »Der Junge ist gestört«, antwortete Cleve. »Ich fürchte, daß er mir was antut. Wieder einen von seinen Anfällen bekommt…«
    »Sie könnten ihn noch mit einer auf den Rücken gebundenen Hand flachlegen; er is’ ausgelaugt bis auf die Knochen.« Hätte er mit Mayflower gesprochen, wäre es Cleve zu diesem Zeitpunkt vielleicht möglich gewesen, ihn direkt zu bitten. Bei Devlin war ein solches Vorgehen von vornherein zum Scheitern verurteilt.
    »Ich seh’ keinen Grund für Ihre Beschwerde. Bis jetzt ist er der reine Musterknabe«, sagte Devlin, der die Parodie des zärtlichen Vaters sichtlich auskostete. »Ruhig, stets höflich. Er ist keine Gefahr für Sie oder sonst jemand.«
    »Sie kennen ihn nicht…«
    »Was versuchen Sie hier zu drehen?«
    »Stecken Sie mich in ‘ne Vorschrift-43-Zelle, Sir. Irgendwohin, mir gleich. Nur schaffen Sie mich ihm aus dem Weg.
    Bitte .«
    Devlin antwortete nicht, sondern starrte Cleve verblüfft an.
    Schließlich sagte er: »Sie haben tatsächlich Angst vor ihm.«
    »Ja.«
    »Was is’ los mit Ihnen? Sie haben die Zelle mit harten Männern geteilt und nie mit der Wimper gezuckt.«
    »Er ist anders«, antwortete Cleve. Recht viel mehr konnte er nicht sagen, außer: »Er ist geisteskrank. Ich versichere Ihnen, er ist geisteskrank.«
    »Die ganze Welt ist verrückt, bis auf dich und mich, Smith.
    Noch nix davon gehört?« Devlin lachte. »Gehn Sie wieder auf Ihre Zelle, und hören Sie auf zu quengeln. Sie wollen doch nicht Geisterbahn fahren, oder?«
    Als Cleve in die Zelle zurückkehrte, schrieb Billy gerade einen Brief. Wie er da auf seinem Bett saß, in sein Blatt Papier vertieft, sah er äußerst verwundbar aus. Was Devlin gesagt hatte, stimmte: Der Junge war ausgelaugt bis auf die Knochen.
    Wenn man ihn so sah, seine durch das T-Shirt erkennbare Rückgratleiter, fiel es schwer zu glauben, daß diese zarte Gestalt die Agonien der Umformung überstehen konnte. Aber womöglich würde sie das auch nicht. Womöglich würden ihn die Strapazen der Verwandlung mit der Zeit auseinanderreißen.
    Aber nicht bald genug.
    »Billy…«
    Der Junge nahm die Augen nicht von seinem Brief.
    »… was ich gesagt hab’, über die Stadt…«
    Er hörte auf zu schreiben - »… vielleicht hab’ ich mir das ja alles eingebildet. Es bloß geträumt…« - und begann erneut.
    »… Ich hab’ dir nur davon erzählt, weil ich Angst um dich hatte. Das war alles. Ich möchte, daß wir Freunde sind…«
    Billy schaute auf.
    »Das liegt nicht in meiner Macht«, sagte er sehr einfach.
    »Nicht jetzt. Das hängt von Großvater ab. Möglicherweise ist er gnädig, möglicherweise nicht.«
    »Wieso mußt du’s ihm denn erzählen?«
    »Er weiß, was in mir ist. Er und ich… wir sind praktisch eins. Daher weiß ich auch, daß er mich nicht betrügen würde.«
    Bald würde es Nacht sein. Die Beleuchtung würde den Trakt entlang ausgehen, die Schatten würden kommen.
    »Also muß ich einfach abwarten, ja?« sagte Cleve.
    Billy nickte. »Ich werd’ ihn rufen, und dann wer’n wir sehen.«
    Ihn rufen? dachte Cleve. Mußte der Alte allnächtlich von seiner Ruhestätte herbeizitiert werden? War es das, was er Billy hatte tun sehen, als dieser mitten in der Zelle stand, die Augen geschlossen und das Gesicht zum Fenster hinauf gewandt? Wenn ja, dann konnte man vielleicht den Jungen daran hindern, seinen Ruf an den Toten vorzubringen.
    Während der Abend sich tiefer herabsenkte, lag Cleve auf seinem Bett und überdachte seine Alternativen. War es besser, hier tatenlos abzuwarten, was für ein Urteil von Tait käme, oder sollte er versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bringen und die Ankunft des Alten zu blockieren? Im letzteren Fall gäbe es kein Zurück mehr, keinen Spielraum für Ausreden oder Entschuldigungen. Seine Aggression würde unzweifelhaft Aggression erzeugen. Wenn es ihm mißlänge, den Jungen daran zu hindern, Tait zu rufen,

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