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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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genannt wurden, beeinträchtigte ihre Anziehungskraft für Vanessa erheblich. Diese andere Straße hingegen, mochte sie auch nirgendwohin führen - und wahrscheinlich war das auch der Fall -, führte zumindest zu einem namenlosen Nirgendwo. Das war keine geringe Empfehlung. Und so setzte Vanessa aus reinem Spleen auf ihr die Fahrt fort.
    Die Landschaft beiderseits der Straße (oder, wozu sie sehr
    schnell wurde, des Weges) war bestenfalls mittelprächtig.
    Selbst die Ziegen, die Vanessa erwartet hatte, waren nirgends zu sehen; aber schließlich wirkte die spärliche Vegetation auch alles andere als nahrhaft. Die Insel war kein Paradies. Im Unterschied zu Santorin mit seinem pittoresken Vulkan oder Mykonos - dem Sodom der Kykladen - mit seinen feudalen Stränden und noch feudaleren Hotels hatte Kithnos keinerlei touristische Attraktionen vorzuweisen. Eben deswegen war sie hier; so weit weg von den Massen, wie es ihr nur möglich gewesen war. Dieser Weg würde sie zweifellos noch weiter von ihnen entfernen.
    Der von den Hügeln zu ihrer Linken ertönende Schrei war nicht zu ignorieren. Es war ein Schrei nackter Angst, und er war unüberhörbar trotz des Gebrumms ihres Mietwagens. Sie brachte das altertümliche Fahrzeug zum Stehen und stellte den Motor ab. Und wieder erschallte der Schrei, gefolgt von einem Schuß, einer Pause, dann einem zweiten Schuß. Ohne nachzu-denken, öffnete sie die Wagentür und stieg aus. Die Luft duftete nach Sandlilien und wildem Thymian - Gerüche, die der Benzingestank im Wageninneren erfolgreich überdeckt hatte.
    Noch während sie den Wohlgeruch einatmete, hörte sie einen dritten Schuß, und diesmal sah sie, wie eine Gestalt - zu weit von ihr entfernt, um erkennbar zu sein, selbst wenn es ihr eigener Mann gewesen wäre - die Spitze eines der Hügel erklomm, nur um wieder in einer Mulde zu verschwinden. Drei oder vier Herzschläge später, und die Verfolger des Mannes erschienen.
    Wieder wurde ein Schuß abgefeuert; aber, wie sie erleichtert feststellte, eher in die Luft als auf den Gejagten. Sie warnten ihn damit eher stehenzubleiben, als ihn gezielt töten zu wollen.
    Die Verfolger waren ebenso undeutlich zu erkennen wie der Flüchtige, außer daß sie - was irgendwie ominös anmutetevon Kopf bis Fuß in wogendes schwarzes Gewand gekleidet waren.
    Sie zögerte neben ihrem Wagen, unschlüssig, ob sie wieder
    einsteigen und wegfahren oder ob sie losgehen und nachschauen sollte, worum es bei diesem Versteckspiel eigentlich ging. Pistolenschüsse waren nicht gerade angenehm, aber konnte sie allen Ernstes einem solchem Geheimnis den Rücken kehren? Die Männer in Schwarz waren hinter ihrer Jagdbeute her verschwunden, aber Vanessa heftete den Blick auf die Stelle, an der sie sie zuletzt erblickt hatte, und machte sich dorthin auf den Weg, hielt sich dabei jedoch gebückt, so gut sie konnte.
    Entfernungen waren in solch unauffälligem Terrain trügerisch; ein sandiger Hügel sah mehr oder minder wie der andere aus. Ganze zehn Minuten lavierte sie sich zwischen dem Spritzgurkenbewuchs hindurch, ehe sie sich darüber klar wurde, daß sie die Stelle verfehlt hatte, an der Verfolgter und Verfolger verschwunden waren - und unterdessen hatte sie sich in einem Meer grasbeschopfter Kuppen verlaufen. Die Schreie waren längst verstummt, die Schüsse gleichfalls. Nur noch der Laut von Möwen umgab sie hier und das schnarrende Debattieren von Zikaden zu ihren Füßen.
    »Verdammt«, sagte sie. »Weshalb lass’ ich mich auf so was ein?«
    Sie suchte sich den größten Hügel in der Nähe aus und stapfte mühsam, da ihre Füße in dem sandigen Untergrund wenig Halt fanden, seinen Hang hinauf; womöglich gab der Aussichtspunkt einen Blick auf den Weg frei, den sie verlassen hatte, oder sogar aufs Meer. Wenn sie die Klippen entdeckte, könnte sie die Stelle, an der sie den Wagen verlassen hatte, in etwa bestimmen und in dieser ungefähren Richtung losziehen, mit der Gewißheit, daß sie den Weg früher oder später erreichen mußte. Aber der Buckel war zu kümmerlich; das einzige, was von oben aus offenbar wurde, war das Ausmaß ihrer Einsamkeit. Nach allen Richtungen die gleichen ununterscheidbaren Hügel, die ihre Rücken der
    Nachmittagssonne entgegenreckten. Voller Verzweiflung leckte sie einen Finger ab und streckte ihn dann in die Luft; höchstwahrscheinlich wehte die Brise vom Meer her, und sie rechnete damit, diese dürftige Information als Basis für ihre geistige Kartographie verwenden zu

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