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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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auch immer, die Hexen waren jedenfalls verschwunden, und ihm, ihrem Geschöpf, blieb nichts übrig, als für sich selbst zu sorgen, ihrer Mysterien beraubt.
    Verzweifelt wanderte er den Beckenrand entlang. Die Wasseroberfläche war nicht völlig ruhig. Ein Kreis kleiner Wellen war darin erwacht, der sich mit jedem Herzschlag vergrößerte. Er starrte den Wasserwirbel an, der an Schwungkraft zunahm und die Arme über das Becken hinausschleuderte. Der Wasserstand hatte plötzlich zu fallen
    begonnen. Der Wirbel wurde rasch zu einem Strudel, um den das Wasser herumschäumte. Irgendeine Klappe war im Beckenboden geöffnet worden, und die Wasser flossen allmählich ab. War die Madonna etwa auf diesem Weg geflohen? Er stürmte zum anderen Ende des Beckens zurück und untersuchte die Fliesen. Ja! Sie hatte eine Flüssigkeitsspur hinterlassen, während sie aus ihrem Heiligtum zur Sicherheit des Beckens kroch. Und wenn sie auf diesem Weg fortgezogen war, waren sie ihr da nicht alle gefolgt?
    Wohin die Wasser abflossen, davon hatte er keine Ahnung.
    In die Kanalisation womöglich und dann zur Themse und schließlich hinaus zum Meer. Zum Tod durch Ertrinken; zur Vernichtung der Zauberei. Oder über irgendeinen geheimen Kanal hinab in die Erde, zu irgendeiner vor Nachforschung sicheren Zufluchtsstätte, wo Entrückung nicht verboten war.
    Rasch wurde das Wasser rasend unter der Saugwirkung, die es fortrief. Der Strudel wirbelte und schäumte und spie. Jerry musterte die Form, die er beschrieb. Eine Spirale natürlich, elegant und unentrinnbar. Die Wasser fielen jetzt schnell; das Plätschern war zu einem donnernden Brausen angewachsen.
    Sehr bald würde alles verschwunden sein, der Zugang zu einer anderen Welt versiegelt und versäumt.
    Ihm blieb keine Wahl: Er sprang. Der kreiselnde Sog

schnappte augenblicklich nach ihm. Er hatte kaum Zeit, Atem zu holen, ehe er unter die Oberfläche gezogen und rundherum und hinab zum Grund gezerrt wurde. Er spürte seinen mehrfachen Aufprall gegen den Beckenboden, schlug dann einen Salto, während er unerbittlich immer näher zum Abfluß gesaugt wurde. Er öffnete die Augen. Und im selben Moment zerrte ihn die Strömung zum Rand, und darüber hinaus. Der Strom nahm ihn in seine Obhut und warf ihn hin und her in seiner Raserei.
    Weiter vorn war Licht. In welcher Entfernung es lag, ließ
    sich schwer schätzen, aber was spielte das für eine Rolle?
    Wenn er ertränke, ehe er die Stelle erreichte und diese Reise als Toter beendete - was tat das schon? Der Tod war nicht gewisser als der Traum von Männlichkeit, in dem er all diese Jahre gelebt hatte. Das Vokabular realistischer Beschreibung ist letztlich nur dazu da, auf den Kopf gestellt, ins Gegenteil verkehrt und von innen nach außen gestülpt zu werden. Die Erde war hell, nicht wahr, und wahrscheinlich voller Sterne. Er öffnete den Mund und schrie, während das Licht immer stärker wurde, eine Hymne in den Strudel, zum Lobpreis des Paradoxons.

    Weshalb konnte Vanessa einer Straße, die nicht durch einen Wegweiser ausgeschildert war, nie widerstehen? Nie dem Weg, der Gott weiß wohin führte? Begeistert war sie immer schon der Nase nach gegangen, und das hatte sie in der Vergangenheit oft genug in Schwierigkeiten gebracht. Eine verirrt in den Alpen zugebrachte Nacht mit beinah tödlichem Ausgang; jene Episode in Marrakesch, die fast mit einer Vergewaltigung endete; das Abenteuer mit dem Schwertschluckerlehrling im Dickicht von Lower Manhattan. Und trotz allem, was bittere Erfahrung sie hätte lehren sollen: Wenn sie die Wahl hatte zwischen einer beschilderten und einer unbeschilderten Straße, entschied sie sich stets, da gab es keine Frage, für die letztere.
    Hier zum Beispiel. Diese Straße, die sich zur Küste von Kithnos schlängelte: Was hatte sie wohl schon zu bieten, außer einer ereignislosen Fahrt durch das gestrüppbewachsene Gelände hier in dieser Gegend - unterwegs eventuell die Begegnung mit einer Ziege - und von den Klippen eine Aussicht auf die blaue Ägäis. Eine solche Aussicht konnte sie von ihrem Hotel in der Merikha-Bucht aus genießen und brauchte dabei nicht einmal unbedingt aus dem Bett zu steigen.
    Aber die anderen Landstraßen, die von dieser Kreuzung wegführten, waren so eindeutig ausgeschildert: eine nach Loutra mit seiner verfallenen venezianischen Feste, die andere nach Driopis. Sie hatte keines der beiden Dörfer besucht, die angeblich ganz reizend waren, aber die Tatsache, daß sie so eindeutig beim Namen

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