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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Nacht hereingebrochen und ein weiterer Tag vorbei.
    Vielleicht kamen sie ja im Schutze der Dunkelheit - aber das war nicht der Fall. Der Mond stieg herauf, unter blödem Grinsen seiner ausgestorbenen Meere, und noch immer zeigte sich nichts von H. G. oder dem versprochenen Exodus. Sie begann, das Schlimmste zu befürchten: daß der Plan entdeckt worden sei und die anderen bereits dafür bestraft würden. Falls ja, würde Mr. Klein nicht über kurz oder lang herausfinden, daß sie selbst daran beteiligt war? Und wenn sie auch nur eine minimale Rolle bei dem Ganzen gespielt hatte - welche Sanktionen würde der Schokoladenmann wohl gegen sie verhängen? Irgendwann nach Mitternacht kam sie zu dem Schluß, daß es überhaupt nicht ihr Stil sei, hier zu warten, bis das Beil fiel, und sie es vernünftigerweise wie Floyd machen und Reißaus nehmen sollte.
    Sie ließ sich selbst aus der Zelle und sperrte sie hinter sich ab, eilte dann die Arkaden entlang, wobei sie sich, so gut es ging, im Dunkeln hielt. Von menschlicher Gegenwart keine Spur - aber Vanessa erinnerte sich an die wachsame Jungfrau, die ihr gleich zu Anfang nachspioniert hatte. Hier durfte man sich auf nichts und niemanden verlassen. Heimlich und durch bloßes Glück fand sie schließlich in den Hof hinaus, in dem Floyd Mr. Klein gegenübergestanden hatte. Hier blieb sie stehen, um festzustellen, in welcher Richtung der Ausgang zu suchen sei. Aber Wolken waren übers Gesicht des Mondes gezogen, und im Finstern ließ sie ihr unzuverlässiger Ortssinn gänzlich im Stich. Auf das Glück bauend, das ihr bislang eine Festnahme erspart hatte, entschied sie sich aufs Geratewohl für einen der Ausgänge aus dem Hof und schlüpfte hindurch, ging dann der Nase nach einen überdachten Laufgang entlang, der, nach einer Biegung um hundertachtzig Grad, wiederum in einen Hof hinausführte, der größer war als der vorherige. Eine leichte Brise spielte mit den Blättern zweier verflochtener Lorbeerbäume in der Hofmitte; Nachtinsekten stimmten sich in den Mauern aufeinander ein. Friedlich wie das Geviert war, bot es doch, soweit Vanessa erkennen konnte, keine aussichtsreiche Route, und sie wollte schon den Weg zurückgehen, den sie gekommen war, als der Mond seine Schleier abschüttelte und den Hof von Mauer zu Mauer erhellte.
    Er war leer bis auf die Lorbeerbäume und den Schatten der Lorbeerbäume, aber dieser Schatten fiel über ein kunstvolles Bild, das man auf das Pflaster des Hofs gemalt hatte. Vanessas Neugier war stärker als ihr Fluchtwille. Sie sah sich das Bild an, wurde jedoch zunächst beim besten Willen nicht schlau daraus; das Muster schien ebendies zu sein: ein Muster. Sie schritt an einer der Bildkanten entlang und versuchte, seinen Sinn zu ergründen.
    Dann dämmerte ihr allmählich, daß sie die Abbildung verkehrt herum anschaute. Sie begab sich auf die andere Hofseite, und die Darstellung wurde von hier aus klar erkennbar. Es war eine Karte der Welt, wiedergegeben noch bis zur unbedeutendsten Insel. Alle großen Städte waren eingezeichnet und die Ozeane und Kontinente kreuz und quer
    mit Hunderten feiner Linien durchzogen, die Breiten-, Längengrade und noch vieles andere bezeichneten. Obwohl viele der Symbole rein geographisch waren, war es offenkundig, daß die Karte voller politischer Details steckte.
    Umstrittene Grenzen; Hoheitsgewässer; Sperrzonen. Viele davon waren mit Kreide eingetragen und nachträglich wieder korrigiert worden, wie um dem täglich neuesten Informationsstand Rechnung zu tragen. In manchen Regionen, in denen sich die Zwischenfälle besonders häuften, war die geographische Grundschicht durch Kritzeleien fast unkenntlich geworden.
    Faszination verstellte ihr den Weg in die Sicherheit. Sie hörte nicht die Schritte am Nordpol, bis der, von dem sie herrührten, aus seinem Versteck in den Mondschein hinaustrat.
    Sie wollte schon Reißaus nehmen, als sie Gomm erkannte.
    »Rühren Sie sich nicht«, murmelte er über die Welt hin.
    Sie gehorchte. Wie ein bedrängtes Kaninchen blickte H. G.
    um sich, um ganz sicherzugehen, daß niemand sonst im Hof war, ehe er zu Vanessa herüber kam.
    »Was treiben Sie hier?« wollte er von ihr wissen.
    »Sie sind nicht gekommen«, warf sie ihm vor. »Ich dachte, Sie hätten mich vergessen.«
    »Es gab Schwierigkeiten. Wir werden hier doch ständig überwacht. «
    »Ich konnte nicht noch länger warten, Harvey. Das ist kein Ort zum Feiern.«
    »Da haben Sie natürlich recht«, sagte er, ein Bild des

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