Das 5. Buch des Blutes - 5
beträchtlicher Geschwindigkeit über den Hof. Er erreichte jedoch nicht einmal die Lorbeerbäume, ehe die Wachposten aufkreuzten. Sie riefen ihm zu, stehenzubleiben. Als er das nicht tat, feuerte einer der Männer. Kugeln pflügten den Ozean um Gomms Füße.
»Schon gut«, gellte er, machte halt und hob die Hände hoch.
»Mea culpa!«
Das Schießen hörte auf. Die Wachposten traten auseinander, um ihren Führer nach vorn durchzulassen.
»Ach, Sie sind’s, Sidney«, sagte H. G. zu dem Captain, der sichtlich zusammenzuckte, als er vor niederen Chargen so angesprochen wurde.
»Was treiben Sie so spät nachts im Freien?« wollte Sidney wissen.
»Sterne angucken«, antwortete Gomm.
»Sie waren nicht allein«, sagte der Captain. Vanessas Mut sank. Es gab keinen Weg zurück zu ihrem Zimmer, der nicht über den offenen Hof geführt hätte; und eben jetzt, da der Alarm ausgelöst war, würde Guillemot wahrscheinlich bei ihr nachschauen.
»Das ist durchaus richtig«, sagte Gomm. »Ich war wirklich nicht allein.« Hatte sie den Alten so sehr beleidigt, daß er sie jetzt verpfiff? »Ich hab’ die Frau gesehen, die Sie reingebracht haben…«
»Wo?«
»Ich hab’ gesehen, wie sie über die Mauer gestiegen ist«, sagte er.
»Heiliger Strohsack!« sagte der Captain und schnellte herum, um seinen Männern unmittelbar darauf den Befehl zur Verfolgung zu geben.
»Ich hab’ ihr gesagt«, schwatzte Gomm weiter, »ich hab’ gesagt, Sie werden sich’s Genick brechen, wenn Sie über die Mauer klettern. Es is’ besser, Sie warten, bis das Tor aufgemacht wird…«
Das Tor aufgemacht wird. Ganz so irrsinnig war er also doch nicht. »Phillipenko«, sagte der Captain, »begleiten Sie Harvey in seinen Schlafsaal zurück.«
Gomm protestierte. »Ich brauch’ keine Gutenachtgeschichte, danke.«
»Gehn Sie mit ihm.«
Der Wachposten trat zu H. G. hinüber und führte ihn ab. Der Captain blieb noch lange genug, um im Flüsterton »Jetzt zeig, wie schlau du bist, Sidney« zu murmeln und folgte dann den anderen.
Der Hof war wieder leer, bis auf den Mondschein und die Weltkarte.
Vanessa wartete, bis auch der letzte Laut verklungen war, schlüpfte dann aus ihrem Versteck und nahm den Weg, dem die ausgesandten Wachposten gefolgt waren. Der führte sie schließlich in einen Bezirk, an den sie sich, von ihrem Spaziergang mit Guillemot her, vage erinnerte. Ermutigt eilte sie einen Gang entlang, auf dem sie zu dem Hof von Unserer Lieben
Frau mit den elektrischen Augen gelangte. Sie schlich die Mauer entlang und tauchte unter dem Blick der Statue weg und endlich hinaus, um direkt auf das Tor zu stoßen. Die Flügel standen tatsächlich offen. Wie der Alte bei ihrer ersten Begegnung entrüstet bemerkt hatte, waren die Sicherheitsvorkehrungen wirklich jämmerlich unzureichend, und sie dankte Gott dafür.
Während sie auf das Tor zulief, hörte sie das Geräusch von Stiefeln auf dem Schotter, blickte über die Schulter und sah, wie der Captain mit einem Gewehr in der Hand hinter einem Baum hervortrat.
»Etwas Schokolade, Mrs. Jape?« sagte Mr. Klein.
»Das ist ein Irrenhaus«, sagte sie ihm, nachdem man sie wieder in den Verhörraum gebracht hatte. »Nicht mehr und nicht weniger. Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten.«
Er überhörte ihre Beschwerden.
»Sie haben mit Gomm gesprochen«, sagte er, »und er mit Ihnen. «
»Na, und wenn schon?«
»Was hat er Ihnen erzählt?«
»Ich sagte: Na, und wenn schon.«
»Und ich sage: Was hat er Ihnen erzählt ?« brüllte Klein.
Die Fähigkeit zu einem solchen Wutanfall hätte sie ihm gar nicht zugetraut. »Ich will es wissen, Mrs. Jape.«
Unwillkürlich geriet sie auf seinen Ausbruch hin ins Zittern, was ihr sehr zuwider war. »Er hat mir Unsinn erzählt«, antwortete sie. »Er ist geisteskrank. Ich glaube, ihr seid alle geisteskrank.«
»Was für Unsinn hat er Ihnen erzählt?«
»Es war reiner Quatsch.«
»Ich will es wissen, Mrs. Jape«, sagte Klein; sein Zorn war wieder abgeflaut. »Tun Sie mir den Gefallen.«
»Er sagte, hier sei eine Art Komitee tätig, das weltpolitische Entscheidungen trifft, und daß er einer davon sei. Das war’s, soviel ich mitbekommen hab’.«
»Und?«
»Und ich hab’ ihm schonungsvoll beigebracht, daß er nicht recht bei Sinnen ist.«
Mr. Klein rang sich ein falsches Lächeln ab. »Natürlich ist das ein reines Hirngespinst«, sagte er.
»Natürlich«, sagte Vanessa. »Herrgott noch mal, behandeln Sie mich nicht wie einen Trottel, Mr.
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