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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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die Vorstellung ziemlich angenehm, daß wir dreizehn die Welt formten und daß niemand außer den höchsten administrativen Geheimnisträgern wußte, daß es uns überhaupt gab.«
    Das war, nach Vanessas Ansicht, das Napoleon-Syndrom in Reinkultur. Gomm war unbestreitbar verrückt: aber was für eine heroische Verrücktheit! Und noch dazu relativ harmlos.
    Weshalb mußten sie ihn einsperren? Er war sicher nicht imstande, Schaden anzurichten.
    »Ich find’ es unfair«, sagte sie, »daß man Sie hier einsperrt…«
    »Also, das geschieht natürlich zu unserer eigenen Sicherheit«, antwortete Gomm. »Stellen Sie sich das Chaos vor, wenn irgendeine Anarchistengruppe herausfände, von wo aus wir operieren, und uns umbrächte. Wir verwalten die Welt.
    So war es ursprünglich nicht geplant, aber wie gesagt, Systeme verfallen. Im Lauf der Zeit beschäftigten sich die Potentatenim Bewußtsein, daß sie uns hatten, um kritische
    Entscheidungen für sie zu fällen - immer mehr mit den Annehmlichkeiten eines hohen Amtes und immer weniger mit Denkarbeit. Innerhalb von fünf Jahren waren wir keine Ratgeber mehr, sondern stellvertretende Oberherren, die mit Nationen jonglierten.«
    »Wie amüsant«, sagte Vanessa.
    »Eine Zeitlang vielleicht«, antwortete Gomm. »Aber der Glanz verblaßte sehr schnell. Und nach etwa einer Dekade machte sich die Belastung allmählich bemerkbar. Die Hälfte des Komitees war bereits tot. Golovatenko stürzte sich aus einem Fenster. Buchanan - der Neuseeländer - hatte Syphilis, ohne was davon zu wissen. Das Alter holte die liebe Yoniyoko ein, auch Bernheimer und Sourbutts. Es wird uns alle über kurz oder lang einholen, und Klein verspricht ständig, für Leute zu sorgen, die das Ruder übernehmen, wenn wir weg sind, aber sie kümmern sich nicht drum. Es ist ihnen völlig egal! Wir sind Funktionäre, und damit hat sich’s.« Er war mittlerweile richtig in Rage geraten. »Solang wir sie mit Ansichten versorgen, sind sie glücklich. Also…« seine Stimme sank zu einem Flüstern ab, »wir geben’s auf.«
    Vanessa stutzte. War dies ein Augenblick der Selbsterkenntnis? Versuchte der geistig Gesunde in Gomms Kopf das Hirngespinst der Weltherrschaft abzuwerfen? Falls ja, konnte sie vielleicht bei dem Vorgang behilflich sein.
    »Sie wollen von hier weg?« sagte sie.
    Gomm nickte. »Ich würde gern noch einmal meine Familie wiedersehen, ehe ich sterbe. Ich hab’ so viel aufgegeben, Vanessa, für das Komitee, und ich bin fast irrsinnig geworden dabei…« Ah, dachte sie, er weiß es. »Klingt das egoistisch, wenn ich behaupte, daß es ein zu großes Opfer ist, mein Leben für den weltweiten Frieden hinzugeben?« Sie lächelte über seine Ambitionen auf die Macht, sagte aber nichts. »Und wenn ja, dann, bitte sehr, es geniert mich nicht. Ich will raus! Ich will…«
    »Sprechen Sie leise«, riet sie ihm.
    Gomm besann sich wieder auf ihre Situation und nickte dann. »Ich will ein wenig Freiheit, ehe ich sterbe. Das gilt für uns alle. Und wir dachten, Sie könnten uns helfen, wissen Sie.«
    Er sah sie an und zog die Stirn in Falten. »Was ist los mit Ihnen?« fragte er.
    »Mit mir?«
    »Weshalb sehen Sie mich so an?«
    »Mit Ihnen ist nicht alles in Ordnung, Harvey. Ich glaub’
    nicht, daß Sie gefährlich sind, aber…«
    »Moment mal«, sagte Gomm. »Was glauben Sie denn, was ich Ihnen da verrate? Ich mach’ mir diese ganze Mühe…«
    »Harvey. Es ist eine schöne Geschichte…«
    » Geschichte ? Was soll das heißen, Geschichte ?« sagte er gereizt. »Oh… ich verstehe. Sie glauben mir nicht, ja? Das ist es! Ich hab’ Ihnen grade das größte Geheimnis der Welt verraten, und Sie glauben mir nicht!«
    »Ich sag’ nicht, daß Sie lügen…«
    »Ach nein? Sie glauben, ich bin wahnsinnig!« Gomm explodierte fast. Seine Stimme hallte über der rechteckigen Welt wider. Beinah im selben Augenblick waren von mehreren der Gebäude her Stimmen zu hören, und rasch darauf das dröhnende Trappeln von Füßen.
    »Jetzt sehen Sie, was Sie angerichtet haben«, sagte Gomm.
    » Ich? «
    »Wir sitzen in der Patsche.« »Schauen Sie, H. G., das heißt nicht…«
    »Zu spät für Widerrufe. Sie bleiben, wo Sie sind - ich werd’
    abhauen. Sie ablenken.«
    Er setzte schon zum Laufen an, als er sich noch einmal umdrehte, unvermutet ihre Hand ergriff und seine Lippen daraufdrückte.
    »Wenn ich verrückt bin«, sagte er, »dann sind Sie der Grund dafür.«
    Dann spurtete er davon; seine kurzen Beine trugen ihn mit

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