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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Trübsinns. »Es ist hoffnungslos. Hoffnungslos. Sie sollten zusehen, wie Sie allein von hier wegkommen. Vergessen Sie uns. Die lassen uns hier nie raus. Die Wahrheit ist zu schrecklich.«
    »Welche Wahrheit?«
    Er schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie’s. Vergessen Sie, daß wir uns je begegnet sind.«
    Vanessa packte ihn an seinem spindeldürren Arm. »Das werd’ ich nicht«, sagte sie. »Ich muß wissen, was hier vor sich geht.«
    Gomm zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sollten Sie’s wissen. Vielleicht sollte alle Welt es wissen.« Er nahm sie bei der Hand, und sie zogen sich in die relative Sicherheit der Arkaden zurück.
    »Wozu ist die Karte da?« fragte sie als erstes.
    »Hier spielen wir…« antwortete er und starrte auf den Wirrwarr von Kritzeleien auf dem Hofboden. Er seufzte. »Natürlich waren es nicht immer Spiele. Aber Systeme verfallen, wissen Sie. Das ist eine unwiderlegbare Bedingung für Materie wie für Ideen. Man beginnt mit den besten Absichten, und in zwei Jahrzehnten… zwei Jahrzehnten …« wiederholte er, als ob ihn die Tatsache von neuem entsetzte, »… spielen wir dann mit Fröschen.«
    »Besonders erhellend hört sich das nicht an, Harvey«, sagte Vanessa, »Sind Sie absichtlich begriffsstutzig, oder liegt das an der Senilität?«
    Der Vorwurf ging ihm unter die Haut, erfüllte aber seinen Zweck. Den Blick noch immer auf die Weltkarte geheftet, sprach Gomm die nächsten Worte flüssig und klar, als ob er dieses Bekenntnis einstudiert hätte.
    »Es gab einen Tag des gesunden Menschenverstandes, damals 1962, an dem den Potentaten der Gedanke kam, daß sie drauf und dran seien, die Welt zu zerstören. Selbst Potentaten finden die Vorstellung von einer nur für Kakerlaken bewohnten Erde nicht besonders berückend. Wenn sich die Vernichtung überhaupt verhindern ließe, dann müßten, so entschieden sie, unsere besseren Instinkte die Oberhand gewinnen. Auf einem Symposium in Genf versammelten sich die Mächtigen hinter verschlossenen Türen. Noch nie hatte es einen solchen Aufeinanderprall von Meinungen gegeben. Die Führer der Politbüros und Parlamente, Kongresse, Senate - die Herren der Erde - in einer einzigen kolossalen Debatte. Und es wurde beschlossen, daß Weltangelegenheiten künftig von einem speziellen Komitee beaufsichtigt werden sollten, das sich aus bedeutenden und einflußreichen Köpfen wie mir zusammensetzte - Männern und Frauen, die nicht von den Launen politischer Gunst abhängig waren; die einige Leitprinzipien vorbringen konnten, um die menschliche Gattung vor dem Massenselbstmord zu bewahren.
    Dieses Komitee sollte mit Leuten aus möglichst vielen Bereichen des menschlichen Strebens zusammengesetzt seinden Besten der Besten -, sozusagen eine geistige und moralische Elite, deren kollektive Weisheit ein neues >Goldenes Zeit-alter< heraufbeschwören würde. Jedenfalls war das die Grund-idee …«
    Vanessa lauschte, ohne die hundert Fragen laut werden zu lassen, die ihr bei seiner kurzen Rede bis jetzt in den Sinn gekommen waren. Gomm fuhr fort.
    »… und eine Zeitlang funktionierte es. Es funktionierte wirklich. Wir waren nur dreizehn - um einen gewissen Konsens aufrechtzuerhalten. Ein Russe, ein paar Europäer - die liebe Yoniyoko natürlich - ein Neuseeländer, zwei Amerikaner…
    Wir waren ein hochkarätiger Haufen. Zwei Nobelpreisträger, einer davon ich…«
    Jetzt erinnerte sie sich an Gomm, oder zumindest daran, wo sie dieses Gesicht einmal gesehen hatte. Da waren sie beide viel jünger gewesen. Sie ein Schulmädchen, das seine Theorien auswendig lernte.
    »… unser Auftrag bestand darin, gegenseitiges Verständnis zwischen den bestehenden Machtblöcken zu fördern, bei der
    Bildung humanitär orientierter Wirtschaftsstrukturen zu helfen und die kulturelle Identität von Nationen der Dritten Welt zu entwickeln. Alles Platitüden natürlich, aber sie hörten sich seinerzeit schön an. So wie die Dinge lagen, waren unsere Interessen fast von Anfang an regional. «
    »Regional?«
    Gomm beschrieb mit dem Arm einen weiten Kreis über die Karte vor ihm. »Indem wir dazu beitrugen, die Welt aufzuteilen«, sagte er. »Indem wir kleine Kriege steuerten, so daß keine großen Kriege daraus wurden, und Diktaturen daran hinderten, aus wachsender Selbstüberschätzung hegemoniale Ansprüche zu stellen. Wir wurden zu Domestiken der Welt. Wir räumten auf, wo immer der Schmutz überhandnahm. Es war eine große Verantwortung, aber wir trugen sie recht gern. Anfangs war uns

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