Das 5. Buch des Blutes - 5
dreitürigen Wagen, auf Kreuzfahrt in der Dunkelheit: Nur ein Wahnsinniger hätte so etwas ernst genommen. Und jetzt hatte sie auch den endgültigen und unbestreitbaren Beweis, daß diese Leute nicht die Irren waren, als die Klein sie bezeichnet hatte, denn sie erfaßten gleichfalls die Komik dieser Situation. Gomm hatte sich beim Fahren sogar aufs Singen verlegt: Bruchstücke von Verdi und eine Falsettwiedergabe von Over the Rainbow.
Und wenn - zu diesem Schluß war sie in ihrem benommenen Hirn gekommen - dies hier so geistig gesunde Geschöpfe wie sie selber waren, was war dann mit der Geschichte, die Gomm erzählt hatte? War die gleichfalls wahr?
War es möglich, daß Armageddon von diesen paar kichernden Greisen bisher verhindert worden war?
»Sie kommen näher!« sagte Floyd. Auf dem Rücksitz kniend, spähte er aus dem Fenster.
»Wir werden’s nicht schaffen«, bemerkte Mottershead, ohne deshalb mit dem Lachen aufzuhören. »Wir werden alle sterben.«
»Da!« schrie Ireniya. »Da ist noch ein Pfad! Nimm den!
Nimm den!«
Gomm wirbelte das Lenkrad herum, und der Wagen kippte beinah um, als er vom Hauptweg abschwenkte und dieser neuen Route folgte. Bei ausgeschalteten Scheinwerfern war es unmöglich, mehr als einen Schimmer der vorausliegenden Strecke zu erkennen, aber Gomm ließ sich in seinem Fahrstil durch solch unbedeutende Erwägungen nicht beengen. Er brachte den Wagen auf Touren, bis der Motor geradezu kreischte. Staub wurde hoch- und durch das Loch geschleudert, wo die Tür gewesen war; weiter vorn floh eine Ziege vom Pfad, Sekunden vor ihrem sicheren Tod.
»Wohin fahren wir?« schrie Vanessa.
»Hab’ keine Ahnung«, erwiderte Gomm. »Sie etwa?«
Wohin sie auch steuerten, sie fuhren mit vollem Tempo.
Diese Route war ebener als die, von der sie abgezweigt waren, und Gomm nutzte die Tatsache voll aus. Er hatte wieder angefangen zu singen.
Auf der anderen Seite des Wagens lehnte sich Mottershead, mit im Wind flatterndem Haar, aus dem Fenster und hielt nach ihren Verfolgern Ausschau.
»Wir hängen sie ab!« schrie er triumphierend. »Wir hängen sie ab!«
Die Reisenden wurden jetzt alle von einer ausgelassenen Heiterkeit erfaßt, und sie stimmten in H. G.s Gesang mit ein.
Sie sangen so laut, daß Gomm nicht hören konnte, wie Mottershead ihn informierte, daß weiter vorn die Straße zu enden scheine. Und wirklich bemerkte H. G. die Tatsache, daß er den Wagen über die Klippen gesteuert hatte, erst, als das Fahrzeug zum Sturzflug ansetzte und das Meer ihnen entgegenkam.
»Mrs. Jape? Mrs. Jape?«
Vanessa erwachte nur widerwillig. Der Kopf tat ihr weh, der Arm tat ihr weh. Vor kurzem mußten sich irgendwelche schrecklichen Vorgänge abgespielt haben; dennoch brauchte sie eine Zeitlang, um sich ihrer konkret zu entsinnen. Dann kehrten die Erinnerungen zurück: der über die Klippen kippende Wagen; das kalte, durch das Türloch hereinstürzende Meer; die verzweifelten Schreie um sie herum, während das Fahrzeug versank. Sie hatte sich, nur halb bei Bewußtsein, frei-gekämpft und dunkel mitbekommen, daß Floyd neben ihr nach oben trieb. Sie hatte seinen Namen gesagt, aber er hatte nicht geantwortet. Sie sagte ihn jetzt wieder.
»Tot«, sagte Mr. Klein. »Sie sind alle tot.«
»O mein Gott«, murmelte sie. Sie schaute ihm nicht ins Gesicht, sondern auf einen Schokoladenfleck auf seiner Weste.
»Machen Sie sich jetzt darüber keine Gedanken«, forderte
er.
»Mir keine Gedanken darüber machen?«
»Es gibt Wichtigeres zu erledigen, Mrs. Jape. Sie müssen aufstehen, und zwar rasch.«
Die Dringlichkeit in Kleins Stimme brachte Vanessa auf die Beine. »Ist es Morgen?« sagte sie. Der Raum, in dem sie sich aufhielten, hatte keine Fenster. Es war das Boudoir, nach den Betonwänden zu urteilen.
»Ja, es ist Morgen«, antwortete Klein ungeduldig. »Also kommen Sie jetzt mit mir? Ich muß Ihnen etwas zeigen.« Er öffnete die Tür, und sie traten in den düsteren Korridor hinaus.
Es hörte sich so an, als sei ein Stück weiter vorn ein größerer Streit im Gange; Dutzende lauter Stimmen, Verwünschungen und Bitten.
»Was ist da los?«
»Sie trainieren für die Apokalypse«, antwortete er und ging in das Zimmer voran, in dem Vanessa das letzte Mal die Schlammringer gesehen hatte. Jetzt flimmerten die Videoschirme alle, und jeder zeigte ein anderes Interieur. Da gab es Kriegszimmer und Präsidentensuiten, Kabinetts-kanzleien und Kongreßsäle. Und in jedem dieser Räume brüllte jemand
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