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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Prozeß bezeichnete er sich selbst als Scheusal. Was freilich nicht heißt, daß sie wußten, wovon er redete, aber das hat er gesagt. Er stand auf und sagte: >Ich bin Satans Exkrement< - Billy lächelte bei der Vorstellung -, >um Gottes willen hängt mich und verbrennt mich.< Er hat mittlerweile seine Meinung geändert. Das Jahrhundert wird alt und schal, es braucht neue Stämme.« Er sah Cleve eindringlich an. »Hab keine Angst«, sagte er. »Ich werd’ dir nicht schaden, außer du versuchst, Geschichten zu erzählen. Das wirst du nicht tun, oder?«
    »Was könnt’ ich wohl sagen, das sich halbwegs zurechnungsfähig anhören würde?« erwiderte Cleve sanft.
    »Nein, ich werd’ keine Geschichten erzählen.«
    »Gut. Und in ‘ner kleinen Weile werd’ ich weg sein und du wirst weg sein. Und du kannst vergessen.«
    »Das bezweifle ich.«
    »Sogar die Träume werden aufhören, wenn ich nicht hier bin. Du hast sie nur, weil du schwache Anlagen zu einem Medium hast. Glaub mir. ‘s gibt keinen Grund zur Angst.«
    »Die Stadt…«
    »Was ist damit?«
    »Wo sind ihre Einwohner? Ich seh’ nie jemand. Nein, das stimmt nicht ganz. Einen hab’ ich gesehen. Einen Mann mit einem Messer… der in die Wüste hinausging…«
    »Ich kann dir nicht helfen. Ich bin dort selber nur auf Besuch. Ich weiß lediglich, was mir mein Großvater sagt: daß es eine von toten Seelen bewohnte Stadt ist. Egal was du dort gesehen hast, denk nicht mehr dran. Du gehörst dort nicht hin.
    Du bist noch nicht tot.«
    War es vernünftig, immer zu glauben, was einem die Toten erzählten? Wurden sie durch den Akt des Sterbens von jeglicher Hinterlist gereinigt und ihrer neuen Seinsweise wie Heilige überantwortet? Cleve konnte so etwas Naives nicht glauben. Wahrscheinlicher war, daß sie ihre Anlagen mit sich nahmen, die guten und die bösen, und sie nach besten Kräften gebrauchten. Es gab doch wohl auch Schuhmacher im Paradies. Töricht zu glauben, sie hätten vergessen, wie man Leder näht.
    Also log Edgar Tait vielleicht, was die Stadt betraf. Mit diesem Ort hatte es mehr auf sich, als Billy wußte. Was war mit den Stimmen im Wind? Dem Mann, der sein Messer zu den anderen am Boden verstreuten Waffen warf, ehe er sich, nach Gott weiß wohin, fortbegab? Was für ein Ritual war das?
    Jetzt - nachdem die Angst aufgebraucht und keine saubere Realität mehr übrig war, an die er sich hätte klammern können - sah Cleve keine Veranlassung, die Stadt nicht freiwillig und gern aufzusuchen. Was konnte es in jenen staubigen Straßen geben, das schlimmer war als das, was er im Bett unter ihm gesehen hatte oder was Lowell und Nayler passiert war? Neben solchen Gräßlichkeiten war die Stadt eine Zufluchtsstätte. Heiterkeit herrschte auf ihren leeren Durchgangsstraßen und Marktplätzen. Cleve hatte dort das unbestimmte Gefühl, daß
    alles Handeln vorbei, aller Zorn und Kummer überwunden waren, daß diese Innenräume (mit dem laufenden Badewasser und der randvollen Tasse) das Schlimmste gesehen hatten und jetzt bereit waren, das Jahrtausend auszusitzen. Als diese Nacht Schlaf brachte und sich die Stadt vor ihm auftat, betrat er sie nicht als eingeschüchterter, in Feindesland herumirrender Mann, sondern als Besucher, willens, eine Zeitlang an einem Ort zu entspannen, den er zu gut kannte, um darin die Orientierung zu verlieren, aber nicht gut genug, um seiner überdrüssig zu sein.
    Wie als Antwort auf seine neugefundene Unbeschwertheit, tat sich ihm die Stadt auf. Beim Durchwandern der Straßen, mit blutigen Füßen wie immer, fand er die Türen weit offen, die Vorhänge an den Fenstern zurückgezogen. Er spielte die Verlockung nicht herunter, die sie boten, sondern sah sich die Häuser und Mietskasernen näher an. Bei genauerer Inspizierung waren sie nicht mehr die Musterbeispiele häuslichen Friedens, für die er sie zunächst gehalten hatte. In jeder Wohnstätte entdeckte er irgendein Anzeichen von vor kurzem verübter Gewalt. In einer vielleicht nicht mehr als einen umgestürzten Stuhl oder eine Spur auf dem Boden, wo ein Absatz in einem Blutfleck ausgeglitten war; in anderen waren die Beweise handgreiflicher. Ein Hammer, an der Finne mit geronnenem Blut überzogen, war auf einem mit Zeitungen abgedeckten Tisch liegengelassen worden. Da gab es ein Zimmer, in dem die Bodenbretter aufgerissen und schwarze Plastikpakete, verdächtig glänzend, neben dem Loch abgelegt waren. In einem war ein Spiegel zertrümmert worden; in einem anderen hatte jemand ein

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