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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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schwarzem Dampf.
    Endlich sah er Billys Gesicht, über das ab und zu noch ein paar verspätete Spuren des vorherigen Stadiums huschten. Und dann waren selbst diese aufgelöst, die Schatten weggefegt, und nur Billy lag auf dem Bett, nackt, keuchend von der Strapaze seiner Qual.
    Er sah Cleve an, mit dem Ausdruck der Unschuld im Gesicht.
    Cleve erinnerte sich, wie der Junge sich bei dem Geschöpf aus der Stadt beklagt hatte. »…es tut weh…« hatte er geklagt, oder: »…du hast mir nicht gesagt, wie weh es tut…« Das war die beobachtbare Wahrheit. Der Körper des Jungen war eine Wüstenei aus Schweiß und Knochen; ein unappetitlicherer Anblick war kaum vorstellbar. Aber menschlich, wenigstens das.
    Billy öffnete den Mund. Seine Lippen waren rot und glänzend, als trüge er Lippenstift.
    »Also…« sagte er und versuchte, zwischen zwei schmerzenden Atemzügen zu sprechen. »… also, was soll’n wir jetzt tun?«
    Der Akt des Sprechens schien zuviel für ihn. Er gab einen gutturalen Würgelaut von sich und preßte die Hand vor den Mund. Cleve rückte zur Seite, als Billy aufstand und zu dem Eimer in der Zellenecke hinüberwankte, der dort für ihre nächtliche Notdurft bereitstand. Bevor er ihn noch erreichen konnte, packte ihn der Brechreiz; Flüssigkeit spritzte zwischen seinen Fingern hervor und traf auf den Boden auf. Cleve schaute weg, während Billy sich übergab, und machte sich auf den Gestank gefaßt, den er bis zur Eimerleerung am nächsten Morgen würde ertragen müssen. Es war jedoch nicht der Geruch von Erbrochenem, der die Zelle erfüllte, sondern etwas Süßeres und Widerlicheres.
    Verblüfft schaute Cleve wieder zu der Gestalt, die in der Ecke kauerte. Auf dem Boden zwischen Billys Füßen waren Spritzer dunkler Flüssigkeit; Rinnsale derselben liefen an seinen nackten Beinen herunter. Selbst in der Düsternis der Zelle war das unverkennbar Blut.
    In den bestgeführten Gefängnissen konnte Gewalt ohne Vorwarnung ausbrechen - und tat dies unausweichlich auch.
    Die Beziehung zweier Sträflinge, die täglich von vierundzwanzig Stunden sechzehn zusammengesperrt wurden, war eine unvorhersagbare Sache. Aber soweit es für Häftlinge wie für Beamte ersichtlich gewesen war, hatte es zwischen Lowell und Nayler keinen Stunk gegeben. Auch war, bevor dieses Kreischen anfing, aus ihrer Zelle kein Laut gekommen:
    kein Streit, keine erregten Stimmen. Was Nayler dazu veranlaßt hatte, seinen Zellengenossen urplötzlich anzugreifen und abzuschlachten und sich dann selber verheerende Wunden beizubringen, war sowohl im Speisesaal wie auch im Trainingshof das Thema. Das Weshalb dieser rätselhaften Angelegenheit folgte jedoch an zweiter Stelle nach dem Wie.
    Die Gerüchte, die den Zustand von Lowells Körper nach dessen Entdeckung schilderten, spotteten jeglicher Vorstellung; selbst unter Männern, die gegen gelegentliche Brutalität abgehärtet waren, lösten die Beschreibungen Entsetzen aus.
    Man hatte Lowell nicht besonders leiden können, er war ein Schläger und Schwindler gewesen. Aber nichts, was er getan hatte, verdiente eine derartige Verstümmelung. Der Mann war aufgeschlitzt worden: seine Augen herausgenommen, seine Genitalien weggerissen. Nayler, der einzige in Frage kommende Gegner, hatte es dann fertiggebracht, sich selber den Bauch aufzufetzen. Er befand sich jetzt auf der Intensivstation; die Prognose war nicht vielversprechend.
    Bei diesem allgemeinen aufgebrachten Durcheinander im
    ganzen Trakt fiel es Cleve leicht, den Tag fast unbemerkt zu verbringen. Auch er hatte eine Geschichte zu erzählen, aber wer würde sie glauben? Er glaubte sie ja selber kaum.
    Tatsächlich fragte er sich mit kurzen Unterbrechungen den ganzen Tag lang - wenn die Bilder ihn von neuem heimsuchten -, ob er geistig völlig gesund sei. Aber schließlich war geistige Gesundheit ein bewegliches Fest, oder nicht? Der Wahnsinn des einen konnte durchaus die Verhaltenstaktik eines anderen sein. Das einzige, was er mit Sicherheit wußte, war, daß er gesehen hatte, wie Billy Tait sich verwandelte. Er klammerte sich an diese Gewißheit mit einer Zähigkeit, die schon beinah der Verzweiflung entsprang. Wenn er aufhörte, seinen eigenen Augen zu glauben, hatte er keine Verteidigungsmöglichkeit mehr, um sich der Finsternis zu erwehren.
    Nach dem Waschen und Frühstück hatte der gesamte Trakt Zellenarrest. Werkstattarbeit, Erholung - jegliche Aktivität, die eine Bewegung im Bereich der Flure erforderte - wurden gestrichen, während

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