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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Gebiß neben einem Ofen liegenlassen, in dem ein Feuer loderte und zischte.
    Es waren Mordszenen, ausnahmslos. Die Opfer waren verschwunden - in andere Städte vielleicht, voller abgeschlachteter Kinder und ermordeter Freunde - und hatten diese Bilder zurückgelassen, auf ewig erstarrt in den atemlosen Augenblik-
    ken, die dem Verbrechen folgten. Cleve ging die Straßen entlang, der perfekte Voyeur, spähte in eine Szene nach der anderen und rekonstruierte vor seinem geistigen Auge die Stunden, die der gekünstelten Stille jedes Zimmers vorausgegangen waren. Hier war ein Kind gestorben: sein Bettchen war umgestürzt. Hier war jemand in seinem Bett ermordet worden, das Kissen blutgetränkt, das Beil auf dem Teppich. Bestand also darin die Verdammung, daß die Mörder dazu verpflichtet waren, einen gewissen Abschnitt der Ewigkeit (vielleicht die ganze) in dem Zimmer auszuharren, in dem sie gemordet hatten?
    Von den Übeltätern selber sah er nichts, obwohl sie logischerweise in unmittelbarer Nähe sein mußten. Hatten sie etwa die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, um sich vor den neugierigen Blicken herumreisender Träumer, wie er selbst einer war, zu schützen? Oder verwandelte sie der Aufenthalt in diesem Nirgendwo, so daß sie nicht mehr Fleisch und Blut waren, sondern ein Bestandteil ihrer Zelle wurden: ein Sessel, eine Porzellanpuppe?
    Dann fiel ihm der Mann an der Peripherie wieder ein, der, die Hände blutbefleckt, in seinem guten Anzug dahergekommen und in die Wüste hinausgegangen war. Der war nicht unsichtbar gewesen.
    »Wo sind Sie?« sagte er. Er stand auf der Schwelle eines schäbigen Zimmers, mit einem offenen Backofen und Geschirr im Ausguß, über das Wasser lief. »Zeigen Sie sich.«
    Eine Bewegung fiel ihm ins Auge, und er warf einen raschen Blick zu der anderen Tür hinüber. Dort stand ein Mann. Er war schon die ganze Zeit dort, erkannte Cleve, aber so regungslos und vollständig Bestandteil dieses Zimmers, daß er erst sichtbar wurde, als seine Augen sich bewegten und er in Cleves Richtung schaute. Der verspürte einen Stich der Beklommenheit bei dem Gedanken, daß höchstwahrscheinlich
    jedes Zimmer, in das er gespäht hatte, einen oder mehrere Mörder enthielt, alle auf ähnliche Weise durch Stillstand getarnt.
    Da er nun wußte, daß er gesehen worden war, trat der Mann aus seinem Versteck. Er war in fortgeschrittenem Alter und hatte sich heute morgen beim Rasieren geschnitten. »Wer sind Sie?« sagte er. »Ich hab’ Sie schon früher gesehen. Beim Vorbeigehen. «
    Er sprach leise und traurig. Ein untypischer Mörder, dachte Cleve. »Bloß ein Besucher«, sagte er zu dem Mann.
    »Es gibt hier keine Besucher«, antwortete er, »nur künftige Einwohner.«
    Cleve runzelte die Stirn, versuchte zu ergründen, was der Mann wohl meinte. Aber sein Traumbewußtsein war schwerfällig, und ehe er das Rätsel der Worte des Mannes lösen konnte, gab es weitere.
    »Kenne ich Sie?« fragte der Mann. »Ich merke, daß ich immer mehr vergesse. Das führt doch zu nichts, oder? Wenn ich vergesse, werd’ ich nie von hier weggehen, oder?«
    »Weggehen?« wiederholte Cleve.
    »Tauschen«, sagte der Mann und rückte dabei sein Toupet wieder zurecht.
    »Um wohin zu gehen?«
    »Zurück. Es wieder tun.«
    Jetzt ging er auf Cleve zu. Er streckte die Hände aus, die Handflächen nach oben; sie waren mit Blasen bedeckt.
    »Sie können mir helfen«, sagte er. »Mit den besten von denen kann ich einen Handel abschließen.«
    »Ich verstehe Sie nicht.«
    Der Mann hielt das offensichtlich für einen Bluff. Seine Oberlippe, die mit einem schwarzgefärbten Schnurrbart ausgestattet war, kräuselte sich. »Doch«, sagte er. »Sie verstehen vollkommen. Sie wollen sich bloß gut verkaufen, so wie’s jeder macht. An den Meistbietenden, nicht? Was sind Sie, ein Attentäter?«
    Cleve schüttelte den Kopf. »Ich träume bloß«, antwortete er.
    Der plötzliche Groll des Mannes legte sich wieder. »Seien Sie ein Freund«, sagte er. »Ich hab’ keinerlei Einfluß, im Unterschied zu manch anderen. Wissen Sie, manche von ihnen kommen hierher und sind innerhalb von Stunden wieder draußen.
    Das sind Professionelle. Sie treffen Vereinbarungen. Aber ich?
    Bei mir war’s ein Verbrechen aus Leidenschaft. Ich bin unvorbereitet hergekommen. Ich werd’ hierbleiben, bis ich einen Handel abschließen kann. Bitte seien Sie ein Freund.«
    »Ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte Cleve, der sich nicht einmal im klaren darüber war, worum der

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