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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Lowells Zelle fotografiert und untersucht, dann gründlich geschrubbt wurde. Im Anschluß an das Früh-stück durchschlief Billy den Vormittag; ein mehr dem Koma als dem Schlaf verwandter Zustand von bleierner Schwere. Als Billy zum Mittagessen erwachte, war er munterer und mitteilsamer, als Cleve ihn seit Wochen gesehen hatte. Nichts hinter dem leeren Geplapper ließ darauf schließen, daß er wußte, was vergangene Nacht geschehen war. Am Nachmittag konfron-tierte ihn Cleve mit der Wahrheit.
    »Du hast Lowell umgebracht«, sagte er. Es hatte keinen Zweck zu versuchen, noch länger den Ahnungslosen zu spielen. Falls der Junge sich jetzt nicht an das erinnerte, was er getan hatte, so würde es ihm sicher irgendwann später einfallen. Und wie lange würde es dann dauern, bis er sich wieder daran erinnerte, daß Cleve Augenzeuge seiner Verwandlung geworden war? Besser, es jetzt einzugestehen.
    »Ich hab’ dich gesehen«, sagte Cleve. »Ich hab’ deine
    Verwandlung mit angesehen…«
    Billy schien durch diese Enthüllungen nicht sonderlich beunruhigt. »Ja«, sagte er. »Ich hab’ Lowell umgebracht. Willst du mir das verübeln?« Die Frage, die hundert andere nach sich zog, wurde beiläufig gestellt, als wäre er nur am Rande interessiert, mehr nicht.
    »Was ist mit dir passiert?« sagte Cleve. »Ich hab’ dich gesehen … dort… « er deutete, mit Grausen sich erinnernd, auf das untere Bett, »du warst kein menschliches Wesen.«
    »Ich wollte nicht, daß du’s siehst«, antwortete der Junge.
    »Ich hab’ dir doch die Pillen gegeben, nicht? Du hättest nicht spionieren sollen.«
    »Und die Nacht davor…« sagte Cleve, »da war ich auch wach.«
    Der Junge zwinkerte wie ein verwirrter Vogel, den Kopf leicht schiefgelegt. »Das war wirklich dumm von dir«, sagte er.
    »So dumm.«
    »Ob’s dir paßt oder nicht, ich steck’ da mit drin«, sagte Cleve. »Ich hab’ Träume.«
    »Ach, ja.« Jetzt legte sich die porzellanene Stirn in unschöne Falten. »Ja. Du träumst von der Stadt, oder?«
    »Was ist mit diesem Ort, Billy?«
    »Irgendwo hab’ ich gelesen: Die Toten haben Straßen. Je davon gehört? Also… die Städte haben sie auch.«
    »Die Toten? Du meinst, es is ‘ne Art Geisterstadt?«
    »Ich hab’ nie gewollt, daß du da mit reingezogen wirst. Du bist freundlicher zu mir als die meisten hier. Aber ich hab’ es dir schon gesagt: Ich bin nach Pentonville gekommen, um etwas zu erledigen.«
    »Mit Tait.«
    »Ganz recht.«
    Cleve hätte am liebsten gelacht. Was ihm da erzählt wurde -
    eine Stadt der Toten? -, häufte nur Unsinn auf Unsinn. Und doch hatte seine überreizte Vernunft keine einzige plausiblere Erklärung gefunden.
    »Mein Großvater brachte seine Kinder um«, sagte Billy, »weil er seine Veranlagung nicht an die nächste Generation weitergeben wollte. Er lernte spät, verstehst du. Erst als er eine Frau und Kinder hatte, begriff er, daß er nicht so war wie die meisten Menschen. Er war ein Sonderfall. Aber er wollte die ihm verliehenen Fähigkeiten nicht; und er wollte nicht, daß seine Kinder mit derselben Kraft im Blut weiterlebten. Er hätte sich selbst umgebracht und damit die Aufgabe zu Ende geführt; nur daß eben meine Mutter entkam. Ehe er sie finden und ebenfalls umbringen konnte, wurde er verhaftet.«
    »Und gehenkt. Und begraben.«
    »Gehenkt und begraben; aber nicht verloren. Niemand geht verloren, Cleve. Niemals.«
    »Du bist hergekommen, um ihn aufzuspüren.«
    »Nicht bloß, ihn aufzuspüren. Mir von ihm helfen zu lassen.
    Ich wußte seit meinem zehnten Lebensjahr, wozu ich imstande war. Nicht voll bewußt, aber ich hatte eine dunkle Ahnung.
    Und ich hatte Angst. Natürlich hatte ich Angst: Es war ein schreckliches Geheimnis.«
    »Diese Umwandlung - machst du das immer schon?«
    »Nein. Ich wußte nur schon immer, daß ich dazu imstande bin. Ich bin hierhergekommen, um mich von meinem Großvater unterweisen zu lassen, mir von ihm zeigen zu lassen, wie.
    Sogar jetzt…« er blickte auf seine abgezehrten Arme hinunter, »… wo er’s mir beibringt… ist der Schmerz fast unerträglich.«
    »Wozu es dann tun?«
    Der Junge schaute Cleve ungläubig an. »Um nicht ich selbst zu sein, um Rauch und Schatten zu sein. Um etwas Schreckliches zu sein.« Er schien von Cleves Abneigung wirklich verblüfft.
    »Würd’st du nicht dasselbe tun?«
    Cleve schüttelte den Kopf. »Das, wozu du letzte Nacht wurdest, war abstoßend.«
    Billy nickte. »Mein Großvater hat genauso gedacht. Bei seinem

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