Das 5. Gebot (German Edition)
Kollateralschaden.
Gabriele war die Vierte.
32. Kensington
Vicky blinzelte. Sie fühlte sich frei. Erfrischt. Wo war sie? Sie schaute in ein Paar stahlblaue Augen, die ihr vage bekannt vorkamen. Oli?
„Victoria Pratchett, huhu, kannst du mich hören?“ Warum hörte er sich an, als ob er aus einer Konservendose sprach?
„Oliver?“ Sie versuchte es wenigstens.
„Sprich mit mir, Vicky. Hörst du mich?“
Vicky schüttelte den Kopf. Au verdammt, tat das weh. Natürlich, das Schleudertrauma. Sie versuchte, sich aufzusetzen. „Was ist passiert?“
„Ich weiß nicht, was passiert ist, ich bin die Treppe hochgekommen, und da lagst du mitten im Eingang“, sagte Oliver Cole.
„Ist er noch da?“
„Leo, nein, der ist doch einkaufen gegangen, hat er jedenfalls vorgehabt.“
„Nicht Leo, der Mann, der an der Tür war?“
„Welcher Mann, Vicky? Du scheinst ganz schön was abgekriegt zu haben. Komm, leg dich mal wieder hin. Onkel Doc holt dir erst mal ein bisschen was Kaltes zu trinken.“
„Moment, Oli, hör mir doch mal zu. Es hat geklingelt, ich habe gedacht, dass du es bist, und die Tür geöffnet. Ich Idiotin, warum habe ich nicht durch den Spion geguckt! Da stand ein Mann und – ich weiß nicht, es ging alles so schnell. Ich kann mich kaum daran erinnern. Ich bin wohl ohnmächtig geworden.“
Oliver Cole zog eine Taschenlampe aus seiner Arzttasche. „Schau mir in die Augen, Kleines“, sagte er und leuchtete ihr in die Augen. „So, nun erzähl mal dem guten Onkel Doktor, was man dir angetan hat. Du siehst wirklich schlimm aus. Gehirnerschütterung?“, fragte er, während er sich die Wunde auf ihrem Kopf anschaute.
„Oli, da war ein fremder Mann an der Tür, der hat mir den Mund zugehalten und mir die Luft abgedrückt.“
„Pst, beruhige dich, Schätzchen. Ich vermute, du bist umgekippt, weil du zu schnell aufgestanden bist. Kein Wunder bei einer Gehirnerschütterung und den sonstigen Prellungen. Komm, zeig mir mal, was unter diesem hübschen T-Shirt verborgen ist.“
„Hey, Oliver, Oliver Cole, du Alptraum meiner Schulzeit. Ich fantasiere nicht. Ich wurde angegriffen. Es hat jemand versucht, mich umzubringen! Du hast ihn vermutlich durch dein Kommen gestört.“
„Und wo ist dieser Jemand jetzt? Schätzchen, ich schwöre dir, da war kein böser dunkler Mann. Als ich die Treppe hochkam, lagst du mitten in der Tür. Ich habe gedacht, du hättest mich aus dem Fenster gesehen und mich schon erwartet.“
„Ist schon gut, Oliver, ist ja klar, dass du mir nicht glaubst. Ich habe eine Gehirnerschütterung, ein paar gebrochene Rippen, ein Schleudertrauma und eine Visage wie der Glöckner von Notre-Dame. Bitte tu mir dennoch einen Gefallen: Kannst du mal die Wohnung absuchen, ob der Mann sich hier nicht irgendwo versteckt hat? Bitte!“
Oliver musterte sie mit kaum verhohlenem Zweifel. Okay. Mit ein wenig übertriebener Dramatik öffnete er die Tür zum Bad und rief: „Gesichert!“ Auf diese Weise arbeitete er sich durch alle Zimmer.
Vicky schluckte eine leise aufkeimende Wut herunter. „Oli! Ich bin keine Idiotin, ich bin auch nicht paranoid. Es ist gut jetzt.“
Oliver kehrte zur Couch zurück. „Dann kann ich mich ja jetzt ans Flickwerk machen.“ Er holte Verbandszeug aus seiner Tasche und reinigte Vickys Kopfwunde.
„Aua, das brennt wie Feuer!“, rief sie.
„Nur wenn es wehtut, hilft’s. So, nun steh mal auf, damit wir deine Rippen verarzten können.“
Er tastete die Rippen ab. „Laufen dürfte nicht so angenehm sein.“ Er legte ihr einen Verband an. „Du solltest mindestens noch drei Tage im Bett bleiben.“
„Das sage mal Leo, mit dem soll ich morgen nach Lyon fliegen.“
„Ist der verrückt? In dem Zustand? Nie und nimmer!“
„Was ist nie und nimmer?“, fragte Leo, der gerade die Wohnungstür aufgeschlossen hatte.
„Da ist ja unser Menschenschinder. Leo, ich verbiete dir, mit dieser Frau morgen ein Flugzeug zu besteigen. Die Dame bleibt mir schön im Bett.“
„Moment, Moment, Oli. Werde ich hier eigentlich gar nicht gefragt? Ich bin zwar ein wenig lädiert, aber immer noch nicht vormundschaftspflichtig.“
„Nicht?“ Das kam wie aus einem Mund von Oli und Leo. Offenbar waren beide noch immer ein eingespieltes Team. Vicky hatte die beiden vor vielen Jahren zusammengebracht, als ihr Schulfreund Oli sein spätes Coming-out hatte. Seine damalige Ehefrau hatte ihr das bis heute nicht verziehen.
„Hört auf, Leute“, sagte Vicky. „Ich werde morgen
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