Das 5. Gebot (German Edition)
klären wollte, bevor sie heiratete. Ihre Hochzeit war für Juni geplant, glaube ich.“
„Wen wollte sie heiraten?“, fragte Vicky.
Die Sekretärin stand auf und holte ein Bild vom Schreibtisch. „Ihn hier. Dominique Durand. Ein Supertyp. Bei dem wäre ich auch schwach geworden.“
„Haben Sie eine Telefonnummer und eine Adresse von ihm?“, fragte Leo.
„Na klar, er hat ja dauernd angerufen, und sie haben ja auch zusammengewohnt. In Tassin-la-Demi-Lune.“
„Ach darum“, sagte Leo. „Wir haben Isabelle nicht unter ihrem Namen in Tassin-la-Demi-Lune gefunden. Sie wohnte wahrscheinlich noch nicht so lange bei ihm.“
„Nein, erst seit ein paar Monaten. Das war ganz großes Kino, die beiden, ehrlich.“
„Wie ist das denn hier in der Kanzlei? Waren die Rechtsanwälte befreundet?“
„Nein, die hatten wenig miteinander zu tun, die haben sich nur die Büroräume geteilt. Ehrlich gesagt glaube ich, dass Rechtsanwalt Goni die Räume lieber alleine gehabt hätte und Madame Girard rausekeln wollte.“
Leo war aufgestanden. „Darf ich mir mal den Schreibtisch anschauen?“
„Wer soll es Ihnen verbieten?“, fragte Madame Wersinger. „Aber da werden Sie nichts finden, das hat alles die Polizei beschlagnahmt.“
Leo und Isabelle wechselten einen raschen Blick. „Haben Sie eine Vorgangsnummer, einen Namen von dem zuständigen Revier, dem zuständigen Kommissariat oder was auch immer?“
Die Wersinger kann genauso kuhäugig gucken wie meine ehemalige Sekretärin, dachte Vicky. Also nicht.
„Haben sie auch einen Kopierer mitgenommen?“, fragte Leo.
„Ja, den kleinen Kopierer und den Scanner haben sie auch mitgenommen, den großen Kopierer, den wir immer benutzen, wenn viele Kopien zu machen sind, konnten sie schlecht mitnehmen, den hatten die Rechtsanwälte gemeinsam geleast.“
„Darf ich den mal sehen?“, fragte Leo.
Madame Wersinger führte ihn bereitwillig in den Kopierraum. Währenddessen setzte sich Vicky hinter Isabelles Schreibtisch in ihren schwarzen Schreibtischstuhl. So also war dein täglicher Blick auf die Welt. Vicky zweifelte nicht eine Sekunde mehr, dass Isabelle ihre Zwillingsschwester war.
„Haben Sie den Polizisten auch den Kopierraum gezeigt?“, fragte Leo, als die beiden wieder zurückkamen.
„Ja, natürlich.“
Leo schaute Vicky an und sagte auf Englisch: „Die waren verdammt gründlich, der Speicher ist komplett gelöscht, bis auf die letzten Tage.“
„Was für ein Speicher?“, fragte Vicky.
„Jeder Kopierer hat einen Speicher, aus dem man auch neue Kopien ziehen kann. Von wegen Polizei. Da ist uns jemand zuvorgekommen.“
„Bitte geben Sie uns die Adresse und die Telefonnummer von Isabelles Lebensgefährten. Ist sie eigentlich schon beerdigt worden? Ist ihre Leiche hierher überführt worden?“
Mit dieser Frage war Madame Wersinger vollkommen überfordert. Wahrscheinlich hat sie sich nur überlegt, wer ihr das letzte Monatsgehalt zahlen soll und wer ihr jetzt ein Zeugnis schreibt. Nun ja, das war nachvollziehbar, dachte Vicky. Nachdem sie von Madame Wersinger das Gewünschte erhalten hatten, verabschiedeten sie sich. Was sollten sie in diesem ausgeräumten Büro auch tun?
„Moment mal“, sagte Vicky. „Ihre E-Mail-Adresse. Wie lautete die?“
„Da gab es mehrere, die hingen ja alle an der Kanzleiwebseite dran.“
„Und Sie haben nicht zufällig das Passwort?“
„Wie kommen Sie denn darauf, natürlich nicht!“
„Ich habe noch eine Bitte“, sagte Vicky. „Könnten Sie vielleicht bei Isabelles Lebensgefährten anrufen und für uns einen Termin ausmachen? Und ihn vorwarnen, damit er nicht den Schreck seines Lebens bekommt?“
Madame Wersinger erklärte sich zögernd bereit, ihnen diesen Gefallen zu tun. Sie versuchte es auf der Festnetznummer, aber da war er erwartungsgemäß mitten am Tag nicht zu erreichen.
„Was für einen Beruf hat er denn, dieser Dominique Durand?“, fragte Vicky.
„Irgendwas mit Investmentbanking oder so.“
Oder so, dachte Vicky. So würde Onkel Willy auch den Beruf von George erklären. Oder so. Auf der Handynummer erwischte sie ihn sofort. Vicky konnte kaum verstehen, was Madame da ins Telefon flötete, es war allerdings nicht zu übersehen, dass sie eine gewisse Schwäche für Dominique Durand hatte.
„Er erwartet Sie heute Abend um 18.30 Uhr in seinem Haus in Tassin-la-Demi-Lune. Ich habe ihn vorgewarnt“, sagte Madame Wersinger.
„Dann hätte ich nur noch eine Bitte“, sagte Vicky und guckte Leo
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