Das 5. Gebot (German Edition)
DDR-Pässen im Ausland untergetaucht sein. Habe ich jedenfalls mal irgendwo gelesen.“ Leo nickte. „Stimmt, ich meine mich auch an so etwas zu erinnern. Das war in den 70er Jahren, da gab es in Westdeutschland die RAF, die Rote Armee Fraktion. War doch klar, dass die DDR alles getan hat, um die innere Stabilität der Bundesrepublik zu torpedieren. Die RAF kam denen dabei doch gerade recht. Ja, so etwas könnte es sein.“ Leo las weiter:
Wir packten alles wieder in die Tasche. „Wir müssen versuchen, das Boot zu finden, damit können wir weg.“
„ Und wie willst du das machen?“, fragte ich.
„ Wir sind an einer Quelle, nicht wahr? Eine Quelle fördert Wasser zutage. Und Wasser fließt in einen Fluss, und ein Fluss fließt ins Meer. Die Frau war auf dem Weg zum Fluss, also sind auch wir auf dem Weg zum Fluss. Lass uns dem Wasserlauf folgen.“ Das klang logisch.
Wir mussten weg. Und wir mussten die Mädchen mitnehmen. Die Mädchen wollten nicht, sie wollten bei ihrer toten Mutter bleiben. Oder verstanden sie uns einfach nicht? Laut Monikas Pass waren sie drei Jahre alt.
Fiona kletterte als Erste aus der Höhle, ich hievte die Mädchen hoch und kletterte hinterher. Wahrscheinlich wäre es einfacher gewesen, ins Wasser zu springen als über den Felsrand zu balancieren, aber können Dreijährige schwimmen?
Die Mädchen schrien und klammerten sich an Zweige, sie wollten nicht weg, nicht weg von der Höhle, in der ihre Mutter begraben war. Ich nahm ein Mädchen auf den Arm und ging voran. „Ela!“, schrie das andere Kind uns hinterher. „Ela!“ Fiona nahm das andere Kind auf die Schulter, und dann liefen wir an dem kleinen Fluss entlang, der sich von dem Tümpel vor dem Wasserfall in den Dschungel ergoss. Das Wasser war glasklar und nicht sehr tief, so dass wir immer, wenn der Weg durch umgestürzte Bäume versperrt war, aufs Flussbett ausweichen konnten. Der kleine Fluss führte durch oben offene Höhlen.
Von fern hörten wir das Dröhnen von Flugzeugmotoren, sie flogen wahrscheinlich die Sandpiste in Port Kaituma an. Nach ein paar Stunden machten wir zum ersten Mal Rast. Wir aßen von Monikas Proviant, die beiden Kinder verweigerten die Nahrung, obwohl wir ihnen gut zuredeten.
Gegen Nachmittag erreichten wir ein Plateau, von dem aus sich unser kleiner Fluss als schmaler Wasserfall in einen großen Fluss ergoss. Und jetzt? Wir stiegen über glitschige, giftgrüne Felsen, ließen uns auf dem Hintern runterrutschen, jeder ein Kind an der Hand. Die Mädchen gaben keinen Mucks von sich, aber sie halfen auch nicht mit, dass wir vorankamen.
Unten am Berg sahen wir es: Verborgen unter dem Wasserfall, rechts und links gut versteckt im Regenwald, lag das Boot im Wasser. „Ich schwimme rüber“, sagte ich. Mit ein paar kräftigen Stößen in dem erstaunlich tiefen Wasser war ich am Boot angelangt und zog mich an einer Strickleiter hoch. Die Kajüte war verschlossen. Der Schlüssel, den ich im BH transportiert hatte, passte. Ein Steg lag auf dem Vorderdeck, ich schob ihn an Land, damit Fiona und die Mädchen einsteigen konnten. Und jetzt?
„ Na los, lass uns schauen, ob wir den Motor flott kriegen.“ Wir mussten uns anschreien, da der Wasserfall, der das Boot so trefflich verbarg, wie ein Güterzug an uns vorbeidonnerte. Wir öffneten die Kajüte und staunten, denn hier war alles zwar klein, aber vom Feinsten eingerichtet. Es gab eine Kochnische, ein Chemieklo, Betten und eine Sitzecke, die ebenfalls in Betten umzuklappen war.
Fiona ging nach oben und startete den Motor. Er sprang sofort an. Außerdem fanden wir mehrere Kanister mit Benzin. Es hatte jemand sehr gut vorgesorgt. Aber wer?
„ Wir müssen aus dem Stand Vollgas geben, um durch den Wasserfall zu kommen“, sagte Fiona.
„ Bist du schon mal so ein Boot gefahren?“
Fiona kam von der englischen Küste, sie war mit Booten aufgewachsen, sagte sie. Manchmal schickt der liebe Gott uns Engel.
Und dann fuhren wir los, hinein ins Niemandsland. Ich kannte den Fluss, auf diesem Weg war ich damals in mein Paradies gereist. Ab und zu ein Indianerdorf, aber nichts, was uns aufhalten würde, hier am Ende der Welt.
Wohin? Erst einmal weg, war unsere Devise, wir versuchten dem Grauen zu entfliehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir nicht ein Wort darüber gesprochen, was eigentlich passiert war, und schon gar nicht, wie es weitergehen sollte. Als es dunkel wurde, ankerten wir in einer Bucht und versuchten, die störrischen, wimmernden Mädchen ins Bett
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