Das 5. Gebot (German Edition)
mal alle Ehre und geben Sie Gas, Schumi“, wies er seinen Fahrer an. „Ich übernehme die Strafmandate, aber wir haben nur noch zehn Minuten bis zu meiner Verabredung in Wilmersdorf.“
Er sah im Rückspiegel, wie Schumi zufrieden grinste, und dann wurde er in die beigefarbenen Lederpolster gepresst. Schumi setzte sich auf die linke Spur, fuhr bei Dunkelorange über die Ampel und bog fünf Meter vor einem entgegenkommenden Auto in die Onkel-Tom-Straße ein. Er drehte sich um, nein, niemand folgte ihm. Wahrscheinlich wusste dieser Jemand ohnehin ganz genau, wohin er fahren würde. Er spürte, dass er immer noch diesen Brief umklammert hielt. Seine Handflächen waren feucht geworden. Er holte seine Lesebrille aus dem Futteral, aber der Inhalt des Briefes war auch ohne Brille klar und deutlich gewesen:
Gegen die sofortige Zahlung von einer Million € sehen wir davon ab, der Polizei einen Tipp zur wahren Identität der Toten aus dem Riemeisterfenn zu geben. Details zur Geldübergabe folgen.
Onkel Otto
Hielt der ihn für gehirnamputiert? Gab es wirklich jemanden auf der Welt, der glaubte, er könne zwei und zwei nicht zusammenzählen? Es gab überhaupt nur einen einzigen Menschen, der wusste, wer die Tote aus dem Riemeisterfenn war. Und dieser jemand versuchte, ihn jetzt zu erpressen. Onkel Otto, dass ich nicht lache, dachte er. Woher sollte er eine Million Euro bekommen? Absolut unmöglich. Er konnte nicht schon wieder ... Nein, in der Bank war nicht ein Cent mehr zu holen, er lief bereits barfuß über glühende Kohlen. Winter musste weg. So einfach war das. Nun denn, auch das würde Krzysztof richten. Ironie des Schicksals. Der Mann, der ihm einst den Kontakt zu Krzysztof unwissentlich vermittelt hatte, würde nun durch dessen Unternehmen sterben. Selbst schuld. Das kam davon, wenn man den Hals nicht vollkriegte. Er bat Schumi, am Fehrbelliner Platz zu halten. Dort gab es ebenfalls eine öffentliche Telefonsäule. Er musste erneut verdammt dringend anonym telefonieren.
55. George
Er wachte auf mit rasenden Kopfschmerzen. Das Telefon klingelte penetrant. Er nahm den Hörer hoch und meldete sich mit Namen. Aber es war nur der automatische Weckruf. George brauchte ein paar Minuten, bis er sich orientiert hatte. Er rief in der Telefonzentrale an und bat darum, mit Gerhard Grunwald verbunden zu werden. Zehn Minuten später meldete ihm die Zentrale, dass in Berlin leider kein Gerhard Grunwald mit Telefonnummer registriert sei. Natürlich, dachte George, wäre ich auch nicht an seiner Stelle. Also sprang er unter die Dusche, rasierte sich, zog sich an und ließ sich, ohne vorher gefrühstückt zu haben, ein Taxi rufen. Er musste dringend zu dem Alten. Es war halb neun, als er in der Terrassenstraße vorfuhr. Frau Birkholz öffnete die Tür. „Ich schätze, Sie werden schon erwartet.“ Sie führte ihn auf die Terrasse, wo Gerhard Grunwald in einem riesigen Rattansessel saß, der ihn klein und zerbrechlich erscheinen ließ.
Seine Stimme war jedoch das genaue Gegenteil: „Ich habe gesagt: Anrufen. Wieso haben Sie nicht angerufen? Wieso gehen Sie nicht ans Telefon, Junge?“, rief er ihm entgegen.
George setzte sich ihm gegenüber und zuckte die Schultern. „Asche auf mein Haupt, ich habe es wohl verbockt.“ Dann erzählte er ihm von seiner nächtlichen Odyssee.
Gerhard der Große betrachtete ihn unter buschigen, weißen Augenbrauen wie ein lästiges Insekt. „Gewöhnen Sie sich daran, dass ich meine, was ich sage, so alt bin ich nun auch wieder nicht, als dass Sie Rücksicht nehmen müssten.“
George nickte. Er würde diesen Fehler nicht noch mal machen. „Also, was haben wir: Eine Ehefrau in Berlin, auf die hoffentlich der Ex-Mann ihrer Schwester aufpasst, und ein verschwundenes Telefon mit Vickys Nummer. Also los, Junge, holen Sie sich das Telefon wieder. Aber dalli.“
George musterte den Alten. Nur sein Vater hatte jemals in diesem Ton mit ihm gesprochen. George nickte und lächelte leise in sich hinein. „Bin schon unterwegs“, sagte er.
Es klingelte. Auf dem Weg nach draußen traf er auf Peter Neumann.
56. Vicky
Vicky überlegte. Sie musste unbedingt nach Hause. In ihrem neuen Handy hatte sie nicht die Telefonnummer von Ian. Wie um alles in der Welt sollte sie ihn sonst benachrichtigen? Es half nichts. Auch wenn die Wohnung möglicherweise beobachtet wurde, sie brauchte ihr Adressbuch. Sie konnte unmöglich so lange warten, bis die französischen Behörden die englischen Behörden von
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