DAS 5. OPFER
dem Ticken des Ofens, dem Wasser, das ins Waschbecken des Badezimmers floss. George sagte etwas, und Lorraine lachte.
Vera drehte den Schwan um, fuhr mit den Fingern über die Federn an seinem Bauch.
Einen Augenblick später stand sie schwankend auf, hielt sich am Tisch fest.
»Geht es dir gut, Mom?«
Vera schenkte Reggie ein gezwungenes Lächeln und sagte: »Ich bin gleich wieder da.« Ihre Stimme klang zittrig und fremd.
Vera ging durch die Küche und den Flur entlang. Reggie hörte, wie die Vordertür geöffnet, dann geschlossen wurde. Eine Minute später sprang das Auto ihrer Mutter an.
Reggie beugte sich vor und drückte die Zigarette ihrer Mutter aus, die bis zum Filter heruntergebrannt war und einen giftigen, chemischen Geruch verströmte. Der Schwan hockte am Rand des Tisches, als würde er daran denken zu fliehen.
»Wo ist deine Mutter?«, fragte Lorraine, als sie wieder in der Küche auftauchte, mit einem Pflaster an ihrem Finger.
»Sie sagte, sie wäre gleich wieder da«, sagte Reggie und biss sich auf die Lippe.
»Das Letzte, was sie in ihrem Zustand tun sollte, ist, sich hinter das Lenkrad eines Wagens zu setzen«, verkündete Lorraine und zog am unteren Ende ihrer Fischerweste. Sie ging zum Küchenfenster und schaute auf die Einfahrt hinaus, ihr Blick streifte die Stelle, wo Veras Vega gestanden hatte. »Ich hätte fast Lust, die Polizei zu rufen.«
George kam und stellte sich hinter sie, legte eine Hand auf ihren Rücken. Sie lehnte sich an ihn, dann, als würde sie es sich anders überlegen, bewegte sie sich vorwärts und legte ihre Hände auf die Theke.
»Wer hat Lust auf Rommee?«, fragte George, wandte sich von ihr ab und öffnete die Schublade, in der die Karten aufbewahrt wurden.
Reggie, Lorraine und George saßen um den Küchentisch und spielten Karten, während sie darauf warteten, dass die Lasagne fertig wurde. Vera kam nicht zurück. Sie aßen in unbehaglichem Schweigen, alle warteten auf das Geräusch der Reifen auf der Kieseinfahrt, der hölzerne Schwan lag verlassen in der Mitte des Tisches.
Als Reggie in ihr Zimmer zurückkam, ging sie zum Schreibtisch, fand ihr Bastelmesser und zog die Klinge langsam, versuchsweise über ihren Unterarm. Der Schmerz war klar und schön und vertrieb all die Dunkelheit.
NEPTUNS HÄNDE LAGEN UM ihren Hals, drückten fester zu. Sie war irgendwo tief unten und es war kalt – die Kaverne einer Höhle, der Grund eines Brunnens. Sie war festgebunden, wurde niedergehalten, war unfähig sich zu bewegen.
Sie hörte Taras Stimme: Du hast das ganze Universum in deinen Händen.
Reggie öffnete die Augen, richtete ihren Blick auf den Radiowecker neben ihrem Doppelbett.
Rote Finger, die nach ihr griffen.
Nein, sagte sie blinzelnd zu sich selbst, nur rote Zahlen: 2:20 morgens.
Ihr Herz hämmerte, ihre Haut war feucht. Der frische Schnitt an ihrem Arm schmerzte.
Sie fühlte den heißen Gin-Atem ihrer Mutter in ihrem Nacken. Vera hatte sich unter der Space-Invaders-Bettdecke in Doppelgröße um Reggie zusammengerollt, drückte ihre kaputte Hand auf Reggies Brust und hielt sie fest, so fest, dass Reggie kaum atmen konnte. Vera legte ihre Lippen an Reggies gutes Ohr und flüsterte: »Wach auf.«
»Was ist los?«, fragte sie.
»Ich habe Neuigkeiten.«
»Herrgott nochmal, Mom! Kann das nicht bis morgen warten?« Sie war dieser Geständnisse mitten in der Nacht, nachdem die Bars geschlossen hatten, überdrüssig. Und sie war sauer, dass ihre Mutter sie einfach beim Abendessen sitzen gelassen und Georges Geschenk liegen gelassen hatte, als würde es nichts bedeuten.
Vielleicht hatte Lorraine recht gehabt – vielleicht wurde es Zeit, dass sie anfing, ihre Tür abzuschließen.
»Es ist wichtig«, zischte Vera und drückte Reggie fester.
Und Reggie spürte einen kleinen, dunklen Stich von Furcht, die als Flattern in ihrem Brustkorb begann.
Ihre Mutter bewegte ihre Lippen wieder zu Reggies einem verbleibenden Ohr und seufzte hinein, ihr Atem war scharf von dem harzigen Gin-Geruch, der Reggie an Weihnachtsbäume erinnerte. »Ich werde heiraten.«
Reggie fühlte, wie sich eine Faust in ihrer Brust schloss.
»Hast du mich gehört, Regina? Ist es nicht wundervoll?«
»Großartig. Großartig.« Lügnerin. »Ist es der neue Typ? Der, den du auf der Bowlingbahn getroffen hast?«
Vera lachte. »Nein, Dummerchen. Er ist es nicht.«
»Nun, wer ist es dann?«
»Es ist eine Überraschung. Aber du wirst es bald sehen. Ich will, dass du kommst und ihn
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